Kanadas lässiger Premier gerät in Bedrängnis
Als Justin Trudeau 2015 Regierungschef wurde, galt er als progressiver Hoffnungsträger. Doch nun schrumpft seine Popularität.

Das sieht schon recht innig aus, wie die beiden sich herzen. Höchstens zehn Zentimeter trennen die Gesichter von Justin Trudeau und Jody Wilson-Raybould. Kanadas Ministerpräsident umfasst seine Justizministerin mit den Armen, Madame drückt mit beiden Handflächen die Wangen des Regierungschefs. Wirklich sehr harmonisch. Ein Jahr ist das her. Vor ein paar Tagen hat Wilson-Raybould den Premier politisch derart belastet, dass die Opposition seinen Rücktritt fordert.
Vor dem Rechtsausschuss des Parlaments warf Wilson-Raybould Trudeaus Mitarbeitern vor, diese hätten sie in ihrer Zeit als Justizministerin mit «verschleierten Drohungen» dazu drängen wollen, in einem Bestechungsfall einen aussergerichtlichen Deal anzustreben. Der kanadische Baukonzern SNC-Lavalin soll einst bei Geschäften in Libyen mit Extraportionen Geld nachgeholfen haben. Wilson-Raybould wurde im Januar vom Justizressort abgezogen, zur Veteranenministerin gemacht und ist jetzt zurückgetreten. Vor zwei Wochen trat wegen der Affäre bereits Trudeaus engster Berater zurück. Der Premier bestreitet eine verbotene Einflussnahme, hat aber jetzt ein Problem, zumindest mit seinem Image – und das ein halbes Jahr vor den Wahlen.
Tausende von Arbeitsplätzen sind in Gefahr
Ein Urteil gegen den Baukonzern SNC-Lavalin könnte den kanadischen Premier insofern treffen, da Tausende Arbeitsplätze in Gefahr gerieten, die in Trudeaus Heimatprovinz Québec liegen. Allmählich aber könnte auch Trudeaus Arbeitsplatz gefährdet sein, denn die Opposition legt in Umfragen zu, und der liberale Premier muss nun umso mehr um das kämpfen, was ihm all die Jahre beinahe zugeflogen war: die Leichtigkeit des Siegens.
Justin Trudeau wurde Kanadas Kennedy genannt, was etwas ungerecht ist, weil das nordamerikanische G-7-Land selber wichtig genug ist, um nicht immer an US- Massstäben gemessen zu werden; es hat seine eigenen. Trudeau, 47, hat als Sohn des berühmten Vaters und Ex-Premiers Pierre Trudeau schon sehr früh das Milieu der Weltpolitik kennengelernt. Er flog auf etwa 50 Auslandsreisen seines Vaters mit, traf Kohl, Schmidt, Reagan, Castro und Margaret Thatcher. So viel Esprit, Charme und Aufgewecktheit muss er schon als Knirps ausgestrahlt haben, dass Richard Nixon einmal das Weinglas erhob und dem Jungen launig das Amt des kanadischen Premiers prophezeite. Da hatte Nixon also die Wahrheit gesagt.
Plädoyer für politische Toleranz
Für Trudeau junior folgte allerdings erst mal eine Tour d'Horizon: Moderator, Snowboard-Lehrer, Türsteher in einem Club. Mächtig Eindruck hinterliess er bei Kanadiern und Gästen aus aller Welt, als er mit Ende 20 beim Staatsbegräbnis für seinen Vater eine bewegende Rede hielt: ein Plädoyer für politische Toleranz.
Nach einer Dekade konservativer Regierungen kam im Jahr 2015 Trudeaus grosser Moment. Er siegte mit seinem liberalen Versprechen und wurde der zweitjüngste Regierungschef, den es in Kanada je gab. Sein Kabinett: die Hälfte Männer, die Hälfte Frauen. Darunter auch Wilson-Raybould, die damals als Angehörige der indigenen Bevölkerung das progressive Trudeau-Team mit verkörperte.
Der Hang zu Übertreibungen
Als Ministerpräsident zeigte sich Trudeau betont liberal, hiess am Flughafen persönlich syrische Flüchtlinge willkommen, legalisierte Cannabis, plädierte für offenen Welthandel. Dass sich unter all den Hype um den smarten, lässigen Trudeau zunehmend Kritik streute, ist mitunter etwas untergegangen. Er liess sich privat vom sagenhaft reichen Aga Khan auf eine Urlaubsinsel einladen, er genehmigte trotz Widerstandes von Umweltschützern eine Ölpipeline in Westkanada.
Und irgendwann rümpften Kanadier auch die Nase, wenn er mal wieder mittels bunter Themensocken politische Statements abgab oder es beim Indien-Besuch mit Folkloreklamotten doch etwas übertrieb. Noch immer ist Trudeau sehr populär in Kanada. Aber mehr denn je wird infrage gestellt, ob das noch reicht für den Sieg seiner Partei.
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