Kaiserlicher Humor
Kabarettisten und Schriftsteller bringen sich beim Basler Projekt «Haydn 2032» ein.

Joseph Haydn hatte im Vergleich zu Mozart ein sehr langes Leben, eine nervige Frau, nette Liebschaften sowie ein grosszügiges Anstellungsverhältnis am Hof Esterházy bei der reichsten Familie Ungarns. Was will man mehr? Und doch kannte auch der Komponist Momente tiefer Einsamkeit und Verzweiflung.
Denn was war Esterházy? Ein Rokokoschloss mit tollen Laborbedingungen, um mit musikalischen Formen zu spielen, andererseits aber ein Ort weit ab vom Schuss, ein goldener Käfig. Zudem dürfte Haydn das Schicksal manch anderer Künstler ereilt haben. Auf den Schaffensrausch folgen Momente der Leere. Ein Loch.
Esterházy'sche Einsamkeit
Heutige Schriftsteller scheinen keine Mühe zu haben, sich in die Lage des Komponisten zu versetzen. «Vielleicht eignet sich Haydn als Projektionsfläche gar besser als Mozart oder Beethoven? Wegen der Esterházy'schen Einsamkeit? Irgendwie gelingt der Zugang offenbar jedem mit Leichtigkeit», schreibt der Autor Alain Claude Sulzer auf Anfrage der BaZ. Er muss es wissen. Sulzer hat nicht nur einen Essay zu Haydn verfasst, sondern verantwortet auch die Literaturbeiträge von «Haydn 2032». Im Zentrum dieses von einer Basler Stiftung finanzierten Langzeitprojekts stehen die 107 Haydn-Sinfonien, die vom Kammerorchester Basel und dem Ensemble Il Giardino Armonico auf historischen Instrumenten aufgeführt und eingespielt werden. Daneben werden Schriftsteller um Textbeiträge, Fotografen um Bilder und Musikwissenschafter um kluge Worte gebeten, um das Phänomen Haydn von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten.
Alain Claude Sulzer konnte bisher eine Reihe zum Teil sehr prominenter Autoren gewinnen: Daniel Kehlmann, Lily Brett oder jetzt, anlässlich der «Haydn-Nacht» von heute Abend, Franz Hohler. Es sei bemerkenswert einfach, Schriftsteller für Haydn zu interessieren, meint Sulzer. «Ob und wie sich die Autoren einarbeiten, weiss ich nicht.» Das Erstaunliche sei, dass es bislang keine thematischen Dopplungen gegeben habe.
Die Texte sind tatsächlich höchst unterschiedlich (siehe Auszüge unten), wobei man bisweilen versucht ist, von den Beiträgen auf den Musikgeschmack der Autoren zu schliessen. Was zum Beispiel hat es zu bedeuten, dass Daniel Kehlmann («Die Vermessung der Welt», «Tyll») ausgerechnet jenen Esterházy'schen Fürsten ins Zentrum seiner Geschichte stellt, der nichts mit Haydns Musik am Hut hatte? Die Schriftstellerin Lily Brett gesteht in ihrem Essay ganz freimütig, dass sie Klassik und überhaupt Musik nie besonders gereizt hat, obwohl sie einst für ein australisches Magazin Grössen wie Jimi Hendrix und Mick Jagger porträtierte.
Es gibt aber auch Schreiber wie Hohler, der zu Haydns «Abschiedssinfonie» eine Kurzgeschichte mit dem Titel «Abschied» verfasst hat und sich dabei nicht nur als Haydn-Kenner entpuppt – sondern den humorvollen Ton des Komponisten trifft.
«Gott erhalte Franz, den Kaiser»
In Hohlers ebenso einfühlsamem wie witzigem Text werden die letzten Lebensstunden des Komponisten erzählt, der an einem trüben Maitag im Jahr 1809 plötzlich beschliesst, «einen kleinen Ausflug» mit der Kutsche zu machen. Dem Kammerdiener Haydns, Johann Elssler, gefällt das gar nicht. «Erschrocken fragte Johann Elssler seinen Dienstherrn, was er denn vorhabe, denn dieser hatte in den letzten Wochen das Schlafzimmer seines Hauses nur noch für kurze Zeit verlassen, um sich an sein Klavier zu setzen und darauf ein bisschen zu fantasieren. Wenn er dann ‹Gott erhalte Franz, den Kaiser›, spielte, wusste Elssler, dass er ihn wieder zu Bett bringen musste, denn zu mehr reichte die Kraft des alten Mannes nicht mehr.»
Auch Hohler fantasiert in seiner Geschichte ein bisschen, freilich ohne müde zu werden und ohne den Boden historischer Tatsachen völlig zu verlassen. Ja, Franz Hohler, Franz Joseph Haydn und «Gott erhalte Franz, den Kaiser» (geschrieben zu Ehren des österreichischen Kaisers) – das ergibt einen herrlichen Dreiklang. Das Lied Haydns war schon zu dessen Lebzeiten ein Hit und sollte später als Nationalhymne Deutschlands Karriere machen.
Hohler lässt es sich nicht nehmen, den Komponisten auf seinem «kleinen Ausflug» mit dieser Tatsache zu konfrontieren, und der Autor überrascht auch sonst mit vielen Anspielungen – unter anderem mit einem Hinweis auf einen Flötisten, der schön, wenn auch «ein bisschen schnell» spiele. Wenn nicht alles täuscht, ist damit wohl der Flötist, Dirigent und Leiter des Haydn-Projekts, Giovanni Antonini, gemeint.
Hat Hohler einen besonderen Draht zu Haydn? «In meiner Jugend habe ich öfters als Cellist seine Streichquartette gespielt, womit ich kürzlich wieder angefangen habe, aber in seine Biografie musste ich mich schon eigens für diesen Auftrag einarbeiten», lässt er wissen. Das habe er aber gern gemacht, zumal er das Gefühl habe, dass Haydn oft etwas unterschätzt werde. «Seine Originalität, die er fernab von den Zentren in den Pampas von Esterházy entwickelte, ist grossartig.»
Wer sich die Texte Hohlers, Kehlmanns und anderer Autoren zu Gemüte führen möchte, muss eine «Haydn-Nacht» besuchen oder aber eine Aufnahme kaufen, von denen bisher sechs beim Label Alpha Classics erschienen sind. Leider sind die Texte nicht in den CD-Versionen enthalten, sondern nur in den luxuriösen Vinyl-Editionen. Man überlege sich, vielleicht zur Halbzeit des Projekts eine separate Publikation mit den bereits vorhandenen Texten zu machen, schreibt Sulzer dazu. Noch stehe aber nichts fest.
«Haydn-Nacht»: Heute unter dem Motto «L'Addio» in der Martinskirche Basel. Nach einer Lounge (18.30 Uhr) folgen eine Lesung mit Franz Hohler (19 Uhr) und das Konzert von Giovanni Antonini und Il Giardino Armonico (19.30 Uhr). www.haydn2032.com
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