Pflichtlager auf PrüfstandKaffee gilt als wichtiger als Ethanol
Pro Kopf zahlen wir 12 Franken im Jahr für Pflichtlager. Nach der Krise könnten sie ausgeweitet und teurer werden.

Herr und Frau Schweizer bezahlen pro Jahr zwölf Franken für Pflichtlager. In Zukunft könnte es noch teurer werden. «Die Zusammensetzung und der Umfang der Pflichtlager werden aufgrund der im Lauf der Covid-19-Krise gemachten Erfahrungen zu überprüfen sein», bestätigt Regula Rutz, Geschäftsleitungsmitglied beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) in Bern. Einen wesentlichen Einfluss auf die Pflichtlager der Zukunft werde die Politik haben. Und diese macht gegenwärtig viel Druck.
Leo Müller, CVP-Nationalrat aus dem Kanton Luzern, will in einer Interpellation wissen, ob die Pflichtlager in Krisenzeiten den Bedarf an Pflanzenschutzmittel, Dünger, Futtermittel oder Treibstoff gewährleisten, das Warenportfolio noch aktuell ist und die Pflichtlagerhaltung von Saatgut umgesetzt wurde.
Einen Haufen Fragen wirft auch der freisinnige Tessiner Nationalrat Rocco Cattaneo auf. In seiner Interpellation fragt er die Landesregierung, ob sie bereit sei, «nach der Krise eine vertiefte Analyse über die Pflichtlagerhaltung vorzunehmen (Schutzmaterial, Medikamente, Ethanol, aber auch in genereller Hinsicht)».
Die Krise habe gezeigt, dass es eine bessere strategische Vorsorge brauche als bisher, schreibt Thomas Burgherrr (SVP, AG) in einer Motion. Insbesondere im Bereich der Medizinprodukte sei offensichtlich geworden, «dass es umfassende Nachbesserungen braucht und der Katalog der obligatorischen Pflichtlagerprodukte und die Bedarfsabdeckung ausgeweitet werden müssen, um die Versorgungssicherheit und medizinische Versorgung in einer Krise sicherstellen zu können». Der Bundesrat wird beauftragt, sämtliche rechtlichen Massnahmen zu ergreifen, um das Ethanol-Pflichtlager des Bundes wiederaufzubauen oder Dritte damit zu beauftragen.
Die Waadtländer Grüne Sophie Michaud Gigon schliesslich geht in ihrer Motion in dieselbe Richtung. Bis 2018 hätten beträchtliche Ethanolreserven zur Verfügung gestanden, schreibt sie. Sie erwähnt 8000 bis 10’000 Tonnen. Mit der Privatisierung des Profitcenters der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (Alcosuisse AG) seien diese verkauft worden. «Diese dem Land entgangenen Ressourcen hätten uns in einer Krisenzeit erlaubt, Geld und Energie zu sparen», ist Michaud Gigon überzeugt. Damit sich dies nicht wiederhole, will sie den Bundesrat beauftragten, alles zum Wiederaufbau der Ethanol-Pflichtlager zu unternehmen.
Vorrang für Raps-Saatgut
Weniger aufgeschreckt durch Covid-19 zeigt man sich verwaltungsintern. Entsprechende Vorstösse lagen bis Mitte Mai nicht vor. Bei der Ethanol-Problematik arbeitet man dagegen an einer Doppelstrategie. Eine Zwischenlösung soll mit Blick auf eine zweite Welle her. Gleichzeitig werden die Pläne für ein Pflichtlager vorangetrieben. Während beim Ethanol noch nichts in Stein gemeisselt ist, ist man beim Raps-Saatgut bereits weiter. Dies soll gemäss Rutz in Zukunft an Pflichtlager gelegt werden. Die Lagerhaltung anderer Arten von Saat- und Pflanzgut habe sich im Rahmen einer Überprüfung jedoch nicht als zweckmässig erwiesen, da diese nicht ausreichend lagerfähig seien.
Aktuell lagern in der Schweiz 400’000 Tonnen Futtermittel in Pflichtlagern. Davon könnten im Bedarfsfall 140’000 Tonnen auch für die Herstellung von Brot verwendet werden. Der Umfang der Pflichtlager für die menschliche Ernährung beträgt rund 190’000 Tonnen.
«Kaffee ist ein lebenswichtiges Gut.»
Die von der Pflichtlagerhaltung betroffenen Wirtschaftszweige können privatrechtliche Pflichtlagerorganisationen bilden, die Garantiefonds für einzelne Warengruppen verwalten. Die Firmen erhalten etwa bei einem Kubikmeter Dieselöl 4.50 Franken, beim Benzin 3.30 Franken und beim Flugpetrol 4 Franken. Beim Import von Heizöl werden 15 Franken pro Kubikmeter aus dem Garantiefonds an die Importeure ausbezahlt.
Drei Milliarden für den Krisenfall
«Aufgrund der vergangenen Krise wird klar, dass die Pflichtlager überprüft und aktualisiert werden müssen», findet die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie kritisiert, dass den Pflichtlagern zu wenig Bedeutung beigemessen wurde. «Heute wissen wir, dass Lösungen unterstützt werden müssen, welche die Versorgung auch tatsächlich sicherstellen», kritisiert sie.
Rutz bestätigt, dass der Bund ausser beim Kerosin jenen Unternehmen, die zur Lagerhaltung verpflichtet sind, keine weiteren Vorgaben bei der örtlichen Verteilung macht. Pflichtlager müssen lediglich innerhalb des Schweizer Zollgebiets gehalten werden. Den Wert der Pflichtlager beziffert sie auf rund drei Milliarden Franken (Stand Ende 2019).
Anders als etwa Ethanol muss in der Schweiz Kaffee für drei Monate gebunkert werden. «Das Pflichtlager für Kaffee ist eine Spezialität der Eidgenossenschaft», sagt Tom Wiederkehr, Sprecher des Verarbeiters UCC-Kaffee, der neben Delica und Nespresso zu den drei grossen Röstereien der Schweiz zählt. Ihm ist ausser der Schweiz kein weiteres Land bekannt, das ein Pflichtlager für Kaffee hat. In der Schweiz werden jährlich 60’000 Tonnen Kaffee verarbeitet.
Insgesamt 13 Firmen halten aktuell ein Kaffee-Pflichtlager. Über alle Zweifel erhaben ist dieses aber nicht, wie selbst Wiederkehr einräumen muss. Engpässe in einem Land können nämlich in der Regel durch Lieferungen aus einem anderen kompensiert werden. Die Pflichtlager garantieren eher den Geschmack, da die dafür erforderlichen Mischungen jederzeit verfügbar sind. Der grösste Anteil des Kaffees für die Schweiz wird über die Rheinschifffahrt importiert. In Basel und Birsfelden befinden sich diverse Pflichtlager.
2019 wurde zur Aufhebung der Kaffee-Pflichtlagerhaltung eine Vernehmlassung durchgeführt, wie Rutz bestätigt. «Diese wird nun jedoch nicht mehr weiterverfolgt», sagt sie. Auch für Elisabeth Schneider-Schneiter ist eine Aufhebung keine Option: «Kaffee ist ein lebenswichtiges Gut», sagt sie.

Kurt Tschan ist bei der Basler Zeitung als Redaktor für den Bereich Wirtschaft tätig.
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