Junge Flüchtlinge müssen zum Genitaltest
Minderjährige Asylsuchende geniessen einen speziellen Schutz. Für die Altersbestimmung setzt das Bundesamt für Migration auf umstrittene Methoden.

Im vergangenen Jahr stellten rund 3000 minderjährige Flüchtlinge ohne elterliche Begleitung ein Asylgesuch in der Schweiz. Solche unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden stehen nach Schweizer Verfassung und UNO-Kinderrechtskonvention unter besonderem Schutz. Sie können nur in Ausnahmefällen zurückgeführt oder ausgeschafft werden.
Um festzustellen, ob jemand wirklich noch nicht 18-jährig ist, wird ein Altersgutachten veranlasst. Recherchen der «Schweiz am Sonntag» haben ergeben, dass der Bund auf umstrittene Methoden setzt, um solche Missbrauchsfälle aufzudecken. Bei einer Altersschätzung müssen Buben und Mädchen ihre Genitalien und Brüste entblössen. Dieser Check wird im Zürcher Testzentrum des Bundesamtes für Migration (SEM) seit über zwei Jahren durchgeführt.
60 Prozent nachträglich für volljährig befunden
Tatsächlich gibt es unter den jungen Flüchtlingen viele, die sich als minderjährig ausgeben und sich grössere Chance auf Asyl erhoffen. Im Testzentrum auf dem Juch-Areal galten in den letzten zwei Jahren 337 Flüchtlinge bei ihrem Eintritt als minderjährig. Von ihnen wurden nachträglich rund 60 Prozent als volljährig eingestuft.
Um solche Missbrauchsfälle aufzudecken, stützte sich das SEM bei forensischen Altersgutachten vor allem auf die Handknochenanalyse. Weil die Ergebnisse mit dieser Methode jedoch ungenau sind, wird im Testzentrum seit Januar 2014 auf die sogenannte 4-Punkte-Analyse zurückgegriffen. Neben dem Knochen- und dem Zahnalter wird dabei auch die körperliche Entwicklung berücksichtigt. Letztere soll aufzeigen, wie weit fortgeschritten die sexuelle Reife der Flüchtlinge ist.
Genitalanalysen verletzten Würde der Kinder
Sollte die Asylgesetzrevision heute an der Urne angenommen werden, so sollen in der ganzen Schweiz weitere Bundeszentren wie jenes in Zürich entstehen. Darüber, dass in Zürich Geschlechtsuntersuchungen an jugendlichen Flüchtlingen vorgenommen werden, haben die Behörden allerdings nie informiert.
Gemäss der «Schweiz am Sonntag» sind in Zürich im letzten Jahr mindestens 130 solche Untersuchungen durchgeführt worden. Ruth-Gaby Vermot, Präsidentin der Beobachtungsstelle, sagt, solche Genitalanalysen verletzten die Würde dieser Kinder und Jugendlichen. «Viele von ihnen sind bereits auf der Flucht Opfer von sexueller Gewalt und Ausbeutung. Die absurde Geschlechtsuntersuchung verletzt nicht nur ihr Recht auf Integrität, sondern auch die von der Schweiz ratifizierte Kinderrechtskonvention.»
Inspektion erfolgt von Auge
Untersucht werden die jungen Flüchtlinge von Patrick Laberke, Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin in Zürich. Laberke prüft, ob die körperliche Entwicklung zur Entwicklung der Zähne und des Skeletts passt. «Wir schauen, wie weit fortgeschritten und verbreitet die Körperbehaarung ist und wie weit entwickelt die Genitalien und die Brüste sind.»
Bei weiblichen Jugendlichen erfolgt die Untersuchung durch eine Ärztin. Angefasst würden die jugendlichen Flüchtlinge nicht, die Inspektion erfolge von Auge, betont Laberke.
Methode stammt aus den 60er-Jahren
Andere Ärzte halten nichts von dieser Methode. Oskar Jenni, Leiter der Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich, sagt, weder eine Knochenanalyse noch eine körperliche Untersuchung können zuverlässige Rückschlüsse zum Alter einer Person geben.
Die Methode der Handknochenanalyse sowie die Definition der Tanner-Stadien stammen aus den 60er-Jahren und wurden anhand von weissen Kindern und Jugendlichen erstellt. «Wenn schon, bräuchte es Daten von syrischen, afghanischen oder eritreischen Kindern», sagt Jenni.
Bund verteidigt Praxis
Gemäss Jenni sollten der kognitive, soziale und emotionale Entwicklungsstand und das Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen bestimmt werden. «Das Entwicklungsalter ist ein besseres Mass für die Einschätzung der individuellen Bedürfnisse und Schutzwürdigkeit als das biologische Alter», sagt der Arzt.
Der Bund indessen verteidigt die umstrittene Praxis. Für Martin Reichlin, Sprecher beim SEM ist die 4-Punkte-Analyse mit dazugehörender körperlicher Begutachtung eine Verbesserung. Das Bundesverwaltungsgericht stützte vor einem Monat die Methode in einem Urteil.
Niemand hat bisher Untersuchung verweigert
Auch bezüglich der umstrittenen körperlichen Untersuchung gibt es beim SEM keine Bedenken. «Es wird insbesondere auf allfällige körperliche Fehlentwicklungen sowie auf Spuren von Misshandlungen geachtet.», sagt Reichling in der «Schweiz am Sonntag». Den jungen Asylsuchenden werde vor dem Arzttermin ausführlich erläutert, was Zweck und Ablauf der Untersuchung ist. Ein Dolmetscher sei bei den Gesprächen immer dabei. Die Untersuchung sei zudem freiwillig.
Verweigert habe sich ihr bisher niemand, obschon eine Verweigerung keine unmittelbaren Folgen für das Asylgesuch hätte . «Für den Asylsuchenden stellt sich hingegen unter Umständen das Problem der Beweislosigkeit, wenn er seine Angaben glaubhaft machen muss», sagt Reichlin. Gelingt ihm dies nicht, wird er als volljährig eingestuft.
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