Sexueller Übergriff des IWF-ChefsJetzt spricht das Zimmermädchen, das von Strauss-Kahn angegriffen wurde
Als Nafissatou Diallo die Suite 2806 des New Yorker Sofitel-Hotels reinigen will, trifft sie auf den Hoffnungsträger der französischen Sozialisten. Er ist nackt. Das war 2011. Nun redet sie darüber.

Am 13. Mai 2011 war Nafissatou Diallo eines von Hunderten unsichtbaren Zimmermädchen in einem New Yorker Luxushotel. Sie war 32 Jahre alt und hatte schon früh erfahren, was sich 2011 schnell wieder bestätigen sollte: Was sie fühlt und will, zählt nicht viel. Mit 14 wird sie verheiratet. Sie habe bei ihrer Hochzeit geweint, erzählt Diallo heute. Ihr Mann stirbt, als sie 19 Jahre alt ist. Sie bleibt mit ihrer Tochter allein. Sie verlässt ihr Geburtsland Guinea und stellt in den USA einen Asylantrag. Sie will Geld verdienen, damit, so Diallo, die Tochter «machen kann, was ich nie konnte: zur Schule gehen».
Am 14. Mai 2011 hört Diallo auf, unsichtbar zu sein. An diesem Tag trifft sie in der Sofitel-Suite Nummer 2806 auf Dominique Strauss-Kahn. Für Diallo ist Strauss-Kahn zunächst nur ein Mann, der nackt vor ihr steht. Für den Rest der Welt ist Strauss-Kahn Direktor des Internationalen Währungsfonds und grosser Hoffnungsträger der französischen Sozialisten für die Präsidentenwahl 2012. Was genau in der Suite 2806 geschah, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Diallo sagt, Strauss-Kahn habe versucht, sie zu vergewaltigen.
Für Strauss-Kahn war es «ein moralischer Fehler», kein Verbrechen
Direkt nach dem Vorfall, den Diallo heute nur «den Unfall» nennt, geht sie zur Polizei. Strauss-Kahn wird noch am selben Tag festgenommen. Er streitet alle Vorwürfe vehement ab. Ermittler finden Strauss-Kahns Sperma auf Diallos Arbeitskleidung. In einem Fernsehinterview im September 2011 sagt Strauss-Kahn, es sei zu einer einvernehmlichen sexuellen Begegnung gekommen, diese sei «ein moralischer Fehler» gewesen, aber kein Verbrechen. Zu einem Schuld- oder Freispruch kommt es nie, der Prozess wird im Dezember 2012 durch eine vertrauliche Vereinbarung zwischen Diallo und Strauss-Kahn beendet.

Aus Diallo wird durch ihre Anzeige «die Frau, die Strauss-Kahn zu Fall gebracht hat». Strauss-Kahns Sexualleben wird ausführlich diskutiert, seine Unterstützer nennen ihn einen «Verführer». Sein Fall wird erzählt, als die Geschichte eines brillanten Ökonomen, der Opfer seiner Libido wird. Unabhängig davon, ob man Diallo oder Strauss-Kahn Glauben schenkt, hätte der Vorfall Anlass sein können, darüber zu sprechen, wie häufig Zimmermädchen sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. Wie selten diese angezeigt und noch viel seltener aufgeklärt werden.
#MeToo hat die Debatte verändert
Wenn man wissen will, ob #MeToo die Debatten verändert hat, braucht man sich nur anzuschauen, wie 2011 über Diallo gesprochen wurde. Sie musste juristisch dagegen vorgehen, Prostituierte genannt zu werden, Strauss-Kahns Verteidiger liessen wissen, sie sei «nicht sehr attraktiv», also kein glaubwürdiges Vergewaltigungsopfer, und das extreme Machtgefälle zwischen den beiden wurde in manchen Medien als Glücksfall für Diallo beschrieben. So habe das mittellose Zimmermädchen immerhin Schweigegeld erhalten.
Zum ersten Mal seit 2012 hat Diallo sich nun selbst zu Wort gemeldet. In einem Interview mit «Paris Match» wirft sie der New Yorker Staatsanwaltschaft vor, sie «betrogen» zu haben. «Ich habe die Wahrheit gesagt», sagt Diallo, wäre Strauss-Kahn «arm, dann wäre er heute im Gefängnis». Sie habe sich nie als Feministin gesehen, doch sie wolle nun «eine Stiftung gründen, für Frauen wie mich, die nach Amerika kommen, ohne die Sprache zu sprechen, ohne Bildung, und die Furchtbares erleben».
«Wenn man Präsident eines Landes werden will, dann greift man keine Leute an.»
Nach Strauss-Kahns Festnahme sagten 57 Prozent der Franzosen, dieser sei «Opfer einer Schmierenkampagne». Diallo erhielt Morddrohungen. 2015 eröffnet sie ein Restaurant in der Bronx, «Chez Amina», benannt nach ihrer Tochter. Sie sei dort so sehr von «Neugierigen» belagert worden, so Diallo, «dass ich schliessen musste». Sie habe «Frankreichs Geschichte umgeschrieben», sagt der «Paris Match»-Reporter zu Diallo, Strauss-Kahn wäre ohne sie vielleicht Präsident geworden. Diallo entgegnet: «Wenn man Präsident eines Landes werden will, dann greift man keine Leute an.»
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