Nach Elsässerstrasse-ProzessJetzt meldet sich das Vergewaltigungsopfer zu Wort
Die Empörung nach dem Urteil gegen den Elsässerstrasse-Vergewaltiger ist gross. Daraus schöpft die Betroffene Mut.

Der Aufschrei war schweizweit und auch international gross: Das Basler Appellationsgericht senkte die Strafe für den Mann, der am 1. Februar 2020 gemeinsam mit einem Kollegen eine damals 33-Jährige vergewaltigt hatte. Und gab dem Opfer eine Mitschuld an der Tat.
Wütend und empört zeigten sich Menschen im Internet und auch Basler Politiker und Politikerinnen. Diesen ganzen Trubel bekam auch das Opfer mit. Die Opferberaterin und Expertin für sexualisierte Gewalt, Agota Lavoyer, fand deutliche Worte zur Tat und der angeblichen Mitschuld der Frau.
Sie forderte gegenüber «20 Minuten», dass Richterinnen und Richter besser geschult werden: «Ich wünschte, es wäre obligatorisch, dass auch Richterinnen und Richter über die psychosozialen und gesellschaftspolitischen Aspekte sexualisierter Gewalt, etwa über Psychotraumatologie, geschult werden. Eine Vergewaltigung kann ohne rohe Gewalt ausgeübt werden, nur eine Minute dauern und trotzdem massive lebenslange psychische Folgen für ein Opfer haben.»
Auf den sozialen Medien teilte sie eine Nachricht, die sie vom Opfer bekommen habe.
«Diese Zeilen sind für euch alle, die sich solidarisiert haben: Bleibt laut, ihr werdet gehört und ihr gebt Mut und Zuversicht. Danke!», schreibt Lavoyer dazu. In der Nachricht an Lavoyer bedankt sich die Frau bei der Opferberaterin und allen anderen, die sich solidarisch gezeigt haben und die Täter-Opfer-Umkehr durch das Gericht nicht einfach so haben stehen lassen. «Es berührt mich sehr», schreibt sie. Und: «Das gibt mir echt sehr viel Kraft, um weiterzukämpfen.» Sie sei enttäuscht über das Urteil, hoffe aber, dass auch andere Betroffene sich trauten, eine Anzeige zu machen.
So kämpferisch sich die Frau zeigt – ob die Privatklägerin das Gerichtsurteil anficht und damit vor Bundesgericht zieht, ist noch nicht klar. Eine entsprechende Anfrage dieser Zeitung bleibt vorerst unbeantwortet. Abwarten wird die Basler Staatsanwaltschaft. Und zwar das schriftlich begründete Urteil. Das wolle man prüfen und dann entscheiden, teilt die Behörde auf Anfrage mit.
Solidarität mit dem Opfer zeigen will man auch in Basel. In den sozialen Medien wird zu einer Kundgebung am Sonntagnachmittag vor dem Appellationsgericht aufgerufen.
«Das ist eine völlig falsche Signalwirkung»
Doch nicht nur via Lavoyer, sondern auch über ihre Anwältin Miriam Riegger wendet sich das Opfer an die Öffentlichkeit. «Zu Beginn, also kurz nach der Urteilsbegründung, hatte meine Klientin das Ausmass der Äusserungen des Gerichts noch gar nicht richtig realisiert», so die Anwältin. Die Worte der Gerichtspräsidentin habe sie nicht richtig einordnen können, «sprich, was ihr vom Gericht vorgeworfen wurde, dass sie angeblich eine Mitschuld an der schrecklichen Tat zu tragen haben solle», so Riegger gegenüber «20 Minuten».
Für ihre Mandantin sei unverständlich, wie eine Richterin, «also sogar eine Frau», so etwas sagen könne. Sie sei besorgt, dass man wegen eines kürzeren Rocks oder eines grösseren Ausschnitts verurteilt werde und angeblich sexuellen Missbrauch provoziere. «Das ist eine völlig falsche Signalwirkung», so Riegger.
«Nach Ansicht meiner Klientin werden darum viele betroffene Frauen sich in Zukunft noch weniger zu einer Anzeige trauen oder es sich mehr als zweimal überlegen, ob sie eine Anzeige erstatten, weil sie immer damit rechnen müssen, dass ihnen eine Mitschuld angelastet wird», so die Anwältin. Ihre Klientin sei schockiert gewesen darüber, dass das Gericht infrage gestellt habe, dass sie nach der Vergewaltigung psychische Folgen davongetragen habe. Dass sich die Frau nicht in Therapie befindet, wurde vom Gericht so gewertet, dass die Folgebelastung des Opfers nicht so schlimm sein könne.
«Meine Klientin hat versucht, die schreckliche Tat, so gut es geht, zu vergessen und zu verdrängen», schreibt die Anwältin in einem Mail. Als zweifache Mutter sei sie gezwungen, im Alltag zu funktionieren. «Meine Klientin leidet heute noch stark unter den Folgen dieser schlimmen Tat.»
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