Experiment lebendiges WohnenJetzt sind die Mieter in den Stadtteil Westfeld eingezogen
Das Gelände beim Felix-Platter-Spital wird mit rund 550 Wohnungen überbaut. Die erste Etappe ist fertig, und die meisten Genossenschafter haben ihre Räume bezogen. Befragte sagen: Das Experiment lebendiges Wohnen sei gelungen.

Wir sitzen im Bio-Bistro auf dem Westfeld. Noch dröhnen die Bagger, es wird emsig gearbeitet. Doch schon sind Cafés in Betrieb und viele Leute eingezogen. Beatrice Alder, eine der ersten Grossrätinnen in Basel, Feministin und politische Aktivistin, ist ruhiger geworden. «Ich habe mich soeben aus den meisten politischen Ämtern zurückgezogen», sagt die 83-Jährige lächelnd. Das kommt nicht von ungefähr.
Beatrice Alder war stets ein regsamer, engagierter Mensch – und das ist sie heute noch. Aber seit Jahren hat sie sich mit dem Experiment Westfeld beschäftigt, dem 35’000 Quadratmeter grossen Gelände, auf dem das ehemalige Felix-Platter-Spital steht. Sie beobachtete, wie der betagte Bau mit der spannenden Fassade hätte abgerissen werden sollen und wie sich eine Gruppe von Leuten einsetzte, damit er erhalten bleibt. Sie bekam mit, wie die damalige Basler Finanzdirektorin Eva Herzog sich engagierte, damit Genossenschaften Liegenschaft und Gelände im Baurecht übernehmen konnten.

Und sie verfolgte auch den Einbau von 150 Wohnungen im alten Gebäude, das heute hell, luftig und originell daherkommt. Sie studierte das Projekt: Die Planer versprachen Gemeinsamkeit, wo gewünscht, jedoch auch die Möglichkeit von Privatsphäre und lebendiges Wohnen. Wohnen und mehr also. Das war denn auch der neue Name der Baugenossenschaft.
Auch persönlich musste Beatrice Alder einen Prozess durchmachen. Sie nahm schon früh Kontakt mit den Planern auf und war fasziniert von der Idee, im Alter nicht mehr allein zu leben, jedoch jederzeit die Möglichkeit zu haben, sich in eigene Privaträume zurückzuziehen. Und doch brauchte es Überwindung, ihre Eigentumswohnung loszulassen und sich ins Abenteuer zu stürzen.
Das hat sie jetzt gemacht, und es bekommt ihr bestens. «Es ist ein geniales Konzept», sagt sie. Sie habe ihre eigene Zweizimmerwohnung, könne jedoch jederzeit Leute treffen; sei es im Café, beim Waschen, auf dem Platz, im Gang oder an einem Filmabend. Jeder sei mit derselben Idee hierhergezogen. Privatsphäre zu haben und dennoch nicht allein sein zu müssen. Die dunklen Augen von Beatrice Alder funkeln. Sie erzählt angeregt, dass sie froh sei, den Schritt gewagt zu haben, dass sie ihre Ämter jetzt nach und nach aufgebe, um sich mehr diesem Projekt hier zu widmen, und dass sie sich angekommen fühle. «Es ist ein guter Spirit hier.» Ein urbanes Dörfchen mit allem, was sie brauche. Dass sie kein Wohneigentum mehr habe, gebe ihr wider Erwarten mehr Freiheit und mehr Sicherheit.
Mittlerweile ist auch Claudio Paulin zu uns gestossen. Er ist Co-Geschäftsleiter von Wohnen & mehr und hat das Westfeld mitentwickelt. Er weist auf den Kunst- und Kulturpavillon – ein Herzensprojekt. Im eleganten Bau sind unter anderem ein Gitarrenbauer, der Birkhäuser-Verlag und Filmschaffende einquartiert. Die Preise für ein Atelier von 25 Quadratmetern bewegen sich um 500 Franken monatlich. Die Mieten der Genossenschaftswohnungen liegen im mittleren Bereich, eine Vierzimmerwohnung à 108 Quadratmeter im ersten Stock kostet 2390 Franken, inklusive Nebenkosten. Je höher die Etage, desto höher die Preise.
Bei Neubauten generiere man halt andere Preise als bei Genossenschaften, die eine Liegenschaft schon viele Jahre besässen, sagt Paulin. «Und wir wollten nicht billig, sondern nachhaltig bauen.» Die Mietpreise seien rund zehn Prozent unter der Limite, die das Bundesamt für Wohnungswesen vorgebe. Doch man habe einen Solidaritätsfonds, gerade für diejenigen, die sich den Anteilsschein in der Höhe von einigen Tausend Franken nicht leisten könnten. Und man habe Wohnungen für das kleine Budget.
So sei die günstigste Vierzimmerwohnung für 1430 Franken zu haben. Mehrere Budgetwohnungen hat das kantonale Amt für Wirtschaft, Soziales und Umwelt direkt gemietet. «Ich schätze am Projekt nicht nur das Wohnen, sondern auch das Mehr», sagt Paulin. Das Mehr sind die neuen Wohnformen für Alt und Jung, das Nestwohnen, kurz: das Abenteuer, das Erleben. Wie sich das langfristig bewährt, wird wohl der Lauf der Zeit zeigen.

Marie Gauvin lebt mit Mann und zwei Kindern in einer Vierzimmerwohnung und ist überzeugt von diesem Konzept. Ihrem Mann und ihr seien eine nachhaltige Entwicklung wichtig gewesen. «Nicht nur ökologisch, sondern auch gesellschaftlich.» Dabei solle jedoch die Freiheit der Mieter respektiert werden. Marie Gauvin schätzt auch die familienfreundliche Denkweise und die Möglichkeit des Mitwirkens. «Doch es müssen absolut nicht alle Mieter diese Denkweise haben», sagt sie. Ihr Mann und sie hätten in der Nachbarschaft gewohnt und vorsichtig beobachtet, wie sich das Konzept entwickelt habe – bis sie sich schliesslich in einer Nachtaktion beworben haben.
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