James Bond als Pfand im Brexit-Poker
Die britischen Geheimdienste sind im Anti-Terror-Kampf weltweit unentbehrlich. Will sich London damit in Brüssel nun einen Vorteil erpressen?

Die britische Regierung streitet ab, ihre 27 EU-Partner im Sicherheitsbereich erpressen zu wollen, um einen vorteilhaften neuen Handelsvertrag mit der EU zu erreichen. Nachdem Äusserungen aus London entsprechenden Argwohn ausgelöst haben, suchte Brexit-Minister David Davis diesem Verdacht entgegenzutreten.
Das Schreiben von Premierministerin Theresa May zur Aufkündigung der EU-Mitgliedschaft enthalte keinerlei Drohung mit dem Entzug britischer Kooperation in Sicherheitsfragen, erklärte Davis. May habe nur darauf hinweisen wollen, dass die bisherigen Regelungen in diesem Bereich durch neue ersetzt werden müssten.
Londoner Sicherheitsexperten bestätigen, dass Grossbritannien, schon wegen seiner engen Beziehung zu den US-Geheimdiensten, einen Gutteil an Informationen beiträgt zum Datenpool in Europa. 40 Prozent aller Informationen, die an Europol gehen, kommen dem Royal United Services Institute zufolge aus dem Vereinigten Königreich.
Gefragt, ob London ernsthaft daran denke, die Sicherheitszusammenarbeit mit der EU einzustellen, falls es keine befriedigende Handelsvereinbarung post Brexit bekomme, sagte Davis: «Nein, das würden wir nicht tun.»
Mays Brief an den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, mit dem May die Austrittsverhandlungen am Mittwoch einleitete, hatte diese Möglichkeit aber offengelassen.
In dem Dokument hatte May darauf hingewiesen, dass eine Austrittsvereinbarung zwischen London und der EU die künftige Zusammenarbeit sowohl im Wirtschafts- wie im Sicherheitsbereich abdecken müsse: «Was Sicherheitsfragen betrifft, würde das Nichtzustandekommen einer Vereinbarung bedeuten, dass unsere Kooperation im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus geschwächt wäre.» Das sei «einfach eine Tatsache», fügte eine Regierungssprecherin am Donnerstag hinzu.
«Euer Geld oder euer Leben!»
Innenministerin Amber Rudd hatte die allgemeine Verwunderung über Mays Warnung noch verstärkt mit der Erklärung: «Wenn wir aus Europol aussteigen würden, würden wir unsere Informationen mitnehmen. So ist es gesetzlich vorgesehen. Tatsache ist, dass unsere europäischen Partner ja wünschen, dass wir unsere Informationen dort (bei Europol) belassen, weil wir natürlich auch für die Sicherheit der anderen europäischen Länder sorgen.»
Die meistgelesene Zeitung Grossbritanniens, «The Sun», machte das am Donnerstagmorgen zur Schlagzeile «Euer Geld oder euer Leben!». Empört sprach Guy Verhofstadt, der Brexit-Verhandlungschef des Europa-Parlaments, von einer üblen Drohung: Die Sicherheit der Europäer sei «viel zu wichtig», als dass man sie gegen irgendwelche anderen Dinge einhandeln könnte.
Gianni Pitella, der Sprecher des sozialistischen Blocks im Parlament, sagte: «Es wäre empörend, bei diesen Verhandlungen mit Menschenleben zu spielen. Das war kein guter Start von Theresa May. Es kommt einem wie Erpressung vor.»
Sache der Nato
Der frühere Londoner Top-Ministerialbeamte Sir Nicolas Macpherson hat die Drohung allerdings als «nicht glaubwürdig» abgetan. Militärische Fragen in Europa seien eh Sache der Nato, meint Macpherson. Und die britische Polizei werde die Zusammenarbeit mit ihren kontinentalen Partnern kaum einstellen: Es sei praktisch undenkbar, dass die Insel-Geheimdienste zum Beispiel Hinweise auf geplante Terroranschläge auf dem Kontinent nicht weitergeben würden.
Unterdessen beharrt die britische Regierung weiter darauf, dass Verhandlungen über eine Austrittsvereinbarung und ein Post-Brexit-Handelsabkommen gleichzeitig stattfinden müssten. Nachdem die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel das am Mittwoch bereits abgelehnt hatte, erklärte am Donnerstag auch Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande, den Anfang müsse die Austrittsvereinbarung machen. Erst wenn dabei Fortschritt erzielt werden, könne man mit der Aushandlung eines Handelsabkommens beginnen.
Im Unterhaus enthüllte Brexit-Minister Davis am Donnerstag die Pläne der Regierung für die Umsetzung des Brexit in Grossbritannien. Mittels eines «Grossen Aufhebungsgesetzes» soll der Vorrang von EU-Recht auf der Insel beendet werden.
Erste Spannungen im Kabinett
Zugleich sollen alle bestehenden EU-Gesetze ins britische Recht übertragen werden, sodass Westminster anschliessend in Eigenregie ein Gesetz nach dem andern überprüfen und entweder beibehalten oder löschen kann. Dieses Verfahren könnte viele Jahre in Anspruch nehmen. Letzte Schätzungen sprachen von über 80'000 Rechtsartikeln – darunter EU-Verträge, Direktiven, Verordnungen und Urteile des Europäischen Gerichtshofs.
Erste Spannungen sind diese Woche zwischen zwei der wichtigsten Kabinettsmitglieder in Sachen Brexit deutlich geworden, nachdem Finanzminister Philip Hammond erklärt hatte, London wisse sehr wohl, dass es sich «nicht die Rosinen herauspicken» und «alles gleichzeitig haben» könne im künftigen Verhältnis zur EU. Genau das, nämlich sowohl freien Zugang zum EU-Binnenmarkt wie ein Ende der Freizügigkeit, hatte kürzlich noch Aussenminister Boris Johnson versprochen.
Johnson, der auch einen möglichen Abbruch der Austrittsverhandlungen ohne alle Vereinbarung als «vollkommen in Ordnung» bezeichnet hat, ist diese Woche von der Regierungschefin offenbar zum Schweigen angehalten worden. Hammond dagegen war der Londoner «Times» zufolge direkt an der Erstellung des mayschen Kündigungsschreibens beteiligt. Beide Minister, meinte die «Times», nähmen im Urteil von Fraktionskollegen «zunehmend gegensätzliche Positionen» ein.
Prinz Charles und Prinz William auf Besänftigungstournee
Um die Wogen auf dem Kontinent etwas zu glätten, sind jetzt Prinz Charles und Prinz William auf Europa-Tournee geschickt worden. Der britische Thronfolger befindet sich zusammen mit Gemahlin Camilla auf einer neuntägigen Reise durch Rumänien, Italien und Österreich. Prinz William und seine Frau Catherine haben diesen Monat schon Frankreich besucht und werden im Juli in Deutschland und Polen erwartet.
Catherine fährt ausserdem im Mai nach Luxemburg. Und im Juni statten Spaniens König Felipe und Königin Letizia Grossbritannien einen Staatsbesuch ab. All diese Besuche dienten der britischen Aussenpolitik, hiess es dazu im Foreign Office: Sie sollten «engere Verbindungen» zu den Partnerstaaten gewährleisten.
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