Ist Gesundheit eine moralische Grösse?
Man bekommt den Eindruck, dass heute Gesund und Ungesund eigentlich für Gut und Böse stehen. Was meinen Sie? S. S.
Auf diese Art von Fragen geben Soziobiologie und evolutionäre Psychologie in der Popularisierung ihrer Forschungsergebnisse Antworten. Genauer gesagt, eine einzige Antwort, nämlich die, dass selbst auf den ersten Blick bizarr anmutendes Verhalten stets seinen guten evolutionären Grund hat. Es erweist sich bei genauerer Betrachtung als «vollkommen natürlich». Damit sind wir gehalten, unsere überkommenen Moralvorstellungen im Lichte der Biologie neu zu überdenken. Gute Moralvorstellungen sind dann solche, die sich selber durch die Natur des Menschen rechtfertigen lassen; schlechte moralische Forderungen sind zum Beispiel solche, die vor 30 000 Jahren vielleicht noch biologisch sinnvoll waren, sich inzwischen aber überlebt haben oder aber von Institutionen wie der Kirche wider alle biologische Vernunft durchgesetzt worden sind.
Welche Moral dabei ins Töpfchen und welche ins Kröpfchen kommt, variiert; wichtig ist die Unterscheidung selbst. Und das Ziel: Die Moral auf ihren natürlichen Kern zurückzuführen. Nun scheint es aber doch irgendwie in der Natur (kleiner Scherz!) der Moral zu liegen, ihren kulturellen Anspruch nicht kampflos aufgeben zu wollen. Sie sucht sich andere Felder, die sie neu besetzen kann. Wenn sie aus der Sexualität vertrieben wird, dann fährt ihr Geist halt in die Gesundheit. Dabei verkleidet sie sich zunächst im Sinn und Geist der Natürlichkeit: Es kann doch nicht im Sinne der Natur sein, dass wir uns selbst mit Nikotin vergiften; dass wir mehr essen, als wir verbrauchen; dass wir uns so wenig bewegen, obwohl wir von Natur aus Wesen sind, die eigentlich jeden Tag zehn Kilometer laufen müssten usw.