Wochenduell: Kampf in der Formel 1Ist Ferrari unfähig, den WM-Titel zu holen?
Pleiten, Pech und Pannen: Einmal streikt das Auto, ein andermal sind es taktische Fehler, die Charles Leclerc zur Verzweiflung bringen. Bleibt der Scuderia gegen Max Verstappen nur das Nachsehen?

Ja: Grosser Rückstand, starke Konkurrenz und fehlende Einsicht: So wird das für Ferrari dieses Jahr nichts
Charles Leclerc ist wirklich nicht zu beneiden. Der Monegasse, der als einer der besten Fahrer der Formel 1 gilt, sitzt seit 2019 im Cockpit von Ferrari, einem Rennstall, der zumindest aus der Vergangenheit weiss, wie man Autos baut, die zu Weltmeistertiteln rasen können. Dieses Jahr schien es endlich wieder so weit: Nach einer längeren Mercedes-Dominanz und dem Sieg von Red-Bull-Pilot Max Verstappen im vergangenen Jahr haben die Italiener Leclerc einen Boliden zur Verfügung gestellt, der zu den schnellsten gehört.
Fahrer und Bolide in Kombination hätten definitiv das Zeug dazu, Verstappen vom Thron zu stossen. Es bleibt aber beim Konjunktiv. Statt Jubelstimmung herrscht nach 12 Rennen bei Ferrari Ernüchterung. Pleiten, Pech und Pannen. So lässt sich der bisherige Saisonverlauf am besten beschreiben.
Beispiele gefällig? In Silverstone ruft Ferrari während einer Safety-Car-Phase nur Teamkollege Carlos Sainz zum Reifenwechsel in die Box und nicht den auf Platz 1 liegenden Leclerc. Dieser muss, nachdem das Rennen wieder freigegeben ist, auf seinen harten Reifen mit ansehen, wie sein Teamkollege an ihm vorbeischiesst. Am Ende resultiert nur Platz 4.
Oder in Monaco, Leclercs Heimrennen, als der Rennstall seinen Fahrer mit einem doppelten Reifenwechsel zur Unzeit – der Monegasse muss beim zweiten Boxenstopp sogar warten, bis Kollege Sainz abgefertigt ist – um den sicher geglaubten Sieg bringt. Dazu kommen die GP von Spanien und Aserbeidschan, in welchen jeweils der Motor des Boliden des 24-Jährigen seinen Dienst verweigert, und der GP von Frankreich am vergangenen Wochenende, als vermutlich ein klemmendes Gaspedal Leclerc um seine Führung brachte.
Das Resultat: 63 Punkte Rückstand auf WM-Leader Verstappen. Diesen wieder einzuholen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit werden. Erstens hat Red Bull selbst ein starkes Auto und ein Team, das alles tut, um den WM-Titel zu behalten, und dabei kaum solche fatalen Fehlentscheidungen trifft, wie sie Ferrari massenhaft unterlaufen. Und zweitens scheinen die Italiener in dieser Saison nicht lernfähig und zuweilen gar uneinsichtig zu sein. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto beispielsweise sagte nach dem Debakel in Silverstone, dass es intern nichts zu klären gebe. Einsicht sieht definitiv anders aus. Luc Durisch
Nein: Dass Charles Leclerc das Zeug zum Champion hat, beweisen an der diesjährigen WM allein drei Rennsiege und sieben Polepositions
Klar, Ferrari hat in dieser Saison bisher nicht immer eine gute Figur gemacht. Die Gelegenheiten für den Rennsieg waren mehrfach in greifbarer Nähe – doch sie wurden wiederholt vergeben. Fehler bei den Fahrern, beim Team, aber auch beim Auto führten zu diesen Debakeln. Es ist jedoch zu weit gegriffen, Ferrari hierbei Unfähigkeit zu attestieren.
Die unrühmlichen Vorfälle der Vergangenheit haben vielmehr mit Nervosität und fehlender Erfahrung zu tun: Da ist zunächst ein Team, das stets die höchsten Erwartungen an sich selbst stellt. Der einst erfolgsverwöhnte Rennstall aus Maranello hat seit dem WM-Titel von Kimi Räikkönen im Jahr 2007 jedoch mit einer Durststrecke von 15 Jahren zu kämpfen. Der Erfolgsdruck steigt dadurch immer mehr. Und das sorgt für Unruhe und Anspannung.
Das Ziel von Ferrari muss es daher sein, diese Hürden hinter sich zu lassen und kühlen Kopf zu bewahren. Denn die Chancen auf ein Ende dieser Durststrecke sind durchaus intakt: Die Dominanz der vergangenen Jahre von Mercedes scheint durchbrochen – und die Italiener haben einen nicht unerheblichen Anteil daran. Und mit Charles Leclerc und Carlos Sainz auch die richtigen Fahrer.
Beim Monegassen und beim Spanier mangelt es jedoch an Erfahrung: Leclerc ist 24, sein bestes Resultat in der Gesamtwertung ist ein vierter Platz 2019. Sainz ist zwar schon 27, mehr als ein fünfter Rang 2021 sprang bisher aber auch noch nicht heraus.
Besonders dem Hoffnungsträger Leclerc merkte man in dieser Saison teilweise an, dass er dem Druck nicht standhielt und unnötige Fahrfehler beging, wie vergangenes Wochenende in Frankreich zu sehen war. Dass der Monegasse das Zeug zum Champion hat, beweisen an der diesjährigen WM jedoch auch drei Rennsiege und sieben Polepositions. Wenn es Leclerc in Zukunft konstant gelingt, sowohl die Fahrfähigkeit als auch die Mentalität eines Weltmeisters an den Tag zu legen, dann reicht es auch für den ganz grossen Wurf, sofern der Führende Max Verstappen diese Saison trotz aktuell 63 Punkten Vorsprung noch Federn lassen sollte.
Und selbst wenn der Holländer die WM 2022 souverän nach Hause fährt, dann hat Ferrari, wenn noch an gewissen Stellschrauben gedreht wird, in den nächsten Jahren definitiv das Zeug dazu, die glorreichen alten Tage wieder aufleben zu lassen. Daniel Schmidt
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich in regelmässigem Abstand Themen, welche die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Soll sich Simon Ehammer auf den Weitsprung fokussieren? Löst diese Europameisterschaft einen Frauenfussball-Hype aus? Ist es richtig, dass in Wimbledon keine Ranglistenpunkte vergeben werden? Macht die Testerei im Profisport so noch Sinn? Ist die Tour de Suisse noch wichtig für den Schweizer Sport? Sind Platzstürme im Fussball vertretbar?
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