Wochenduell: NFL-Star Tom BradyIst er der beste Teamsportler der Geschichte?
Tom Brady hat im American Football unzählige Rekorde gebrochen. Nun ist der 44-jährige Quarterback zurückgetreten – und hat damit eine sportartenübergreifende Diskussion ausgelöst.

Ja, Brady hat individuell mehr Meisterschaften gewonnen als alle anderen NFL-Teams überhaupt und sticht damit auch die anderen Konkurrenten um den grössten Teamsportler der Geschichte aus
Thomas Edward Patrick Brady Jr. ist der grösste Mannschaftssportler der Geschichte. Doch um diese These untermauern zu können, muss man sich zunächst fragen, wer überhaupt Bradys Hauptkonkurrenten für den fiktiven Titel des grössten Teamsportlers sind.
Innerhalb seiner eigenen Zunft ist klar, dass Brady die Nase vorne hat. Und dies, obwohl zu Beginn seiner Karriere niemand an ihn geglaubt hat. Im NFL-Draft 2000 wurde er von den New England Patriots erst an 199. Stelle verpflichtet. Gestartet als Underdog, hält er inzwischen alle wichtigen Rekorde auf der Position des Quarterbacks, hat mit Abstand die meisten Superbowls gewonnen. Sieben sind es an der Zahl. Das sind mehr, als jede einzelne Franchise in der National Football League gewonnen hat.
Damit sticht er bereits Basketballer Michael Jordan (sechs Meisterschaften mit den Chicago Bulls) oder Eishockeyspieler Wayne Gretzky (vier mit den Edmonton Oilers) aus. Insbesondere Gretzkys individuelle Rekorde mögen im Vergleich zu Bradys noch mehr herausragen, jedoch hat Gretzky ebenso wie Jordan in Meisterschaftsteams gespielt, die mit etlichen Topstars gespickt waren. Gretzky hatte in Edmonton einen Mark Messier, einen Jari Kurri oder einen Paul Coffey um sich, Jordan glänzte auch dank seiner kongenialen Partner Scottie Pippen oder Dennis Rodman. Brady hingegen spielte bis auf wenige Saisons nie in einem Team, das von der Kaderstärke her zu den besten der Liga gehörte. Etliche Spieler, die dank den Leistungen von Brady zu Stars wurden, verschwanden nach Wechseln zu vermeintlich stärkeren Teams in der Bedeutungslosigkeit.
Dieser Umstand spricht auch dagegen, Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi in dieser Auswahl zu berücksichtigen. Ronaldo gewann fünfmal die Champions League, Messi viermal, doch ebenfalls in Teams, die aus aussergewöhnlichen Spielern bestanden.
Gretzky gewann alle seine Titel in den 1980er-Jahren, Jordan in den 1990ern. Brady hingegen errang seine sieben Superbowls über drei Dekaden hinweg (2002–2021), ebenfalls ein unerreichter Wert und ein Indiz für unnachahmliche Konstanz. Im diesjährigen Playoff ist er mit den Tampa Bay Buccaneers zwar ausgeschieden. Dennoch stehen seine Chancen nicht schlecht, aufgrund seiner Leistungen in der regulären Saison erneut als MVP – als bester Spieler der Saison – ausgezeichnet zu werden. Brady war in vielerlei Hinsicht besser denn je, und das im Alter von 44 Jahren. In einem Alter, in dem Gretzky oder Jordan ihren Zenit bereits längst überschritten hatten. Benjamin Schmidt
Nein, im American Football fehlen die internationalen Vergleiche. Dazu kommt, dass Brady neben dem Platz längst nicht nur für positive Schlagzeilen gesorgt hat
Zugegeben, würde die Frage lauten, ob Tom Brady der beste American-Football-Spieler der Geschichte ist, müsste man ohne zu zögern zustimmen. Der 44-Jährige hält in der NFL unzählige Rekorde, er hat mit sieben Erfolgen am meisten Superbowl-Titel auf dem Konto, seine zehn Finalteilnahmen sind unerreicht. Brady ist unbestritten der erfolgreichste Quarterback – doch hier geht es um den besten Teamsportler der Welt.
Dieser kann Brady schon allein deswegen nicht sein, weil American Football ausserhalb der USA nur eine untergeordnete Rolle spielt und entsprechend weder olympisch ist noch eine bedeutende Weltmeisterschaft stattfindet. Es gibt zwar ein länderübergreifendes Turnier, das alle vier Jahre stattfindet, dieses hat aber längst nicht den gleichen Stellenwert, wie es beispielsweise die Weltmeisterschaft im Fussball hat.
So fehlen Brady internationale Titel in seinem Palmarès gänzlich, die andere Teamsportler aufweisen. Beispielsweise hat Barcelonas ehemaliger Mittelfeldregisseur und aktueller Trainer Xavi in seiner Karriere achtmal die spanische Meisterschaft gewonnen, dazu viermal die Champions League, zweimal den Europameistertitel, und einmal wurde er Weltmeister.
Oder Basketball-Legende Michael Jordan, der zwar nur sechs NBA-Titel auf dem Konto hat, dafür aber noch zweimal Olympiasieger wurde, die Panamerikanischen Spiele und die Amerikameisterschaft gewann sowie öfter als MVP ausgezeichnet wurde als Brady. Lediglich gemessen an den Titeln kann der 44-Jährige also nicht der beste Teamsportler der Geschichte sein. Zudem hat Jordan die Popularität seiner Sportart auf ein ganz neues Level gehoben. Seit ihm kennt jeder die NBA. Etwas Vergleichbares ist Brady definitiv nicht gelungen.
Wenn man zusätzliche Kriterien hinzunimmt, ändert sich an dieser Feststellung nichts. Brady ist auch neben dem Platz längst nicht über alle Zweifel erhaben. 2015 wurde ihm beispielsweise beim «Deflategate», als in einem Spiel seines Clubs elf von zwölf Footballs zu wenig aufgepumpt worden waren, eine Mitwisserschaft unterstellt, weswegen er für vier Partien gesperrt wurde. Es ist dies ein weiterer weicher Faktor, der gegen Brady in dieser Diskussion um den besten Mannschaftssportler der Geschichte spricht. Luc Durisch
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Ist Odermatt bereits einer der besten Fahrer der Geschichte? Ist der Afrika-Cup ein attraktiver Fussballwettbewerb? Braucht es für Wengen zusätzliche Sicherheitsmassnahmen? Sind die Medaillenträume von Dario Cologna nun vorbei? War 2021 ein gutes Jahr für die Schweizer Sportfans?
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