Wochenduell: Der unbesiegbare Tyson FuryIst er der beste Boxer der Geschichte?
Der britische Schwergewichtsboxer Tyson Fury hat noch keinen Kampf verloren und in einem spektakulären Duell erneut Deontay Wilder geschlagen. Gab es je einen stärkeren Kämpfer?

Ja, Fury hat nie einen Kampf verloren, Wladimir Klitschko von der Spitze vertrieben und Wilder keine Chance gelassen – die Statistik spricht für ihn.
Tyson Fury hat es nach seinem spektakulären Sieg gegen Deontay Wilder, einem der besten Schwergewichtskämpfe überhaupt, selbst gesagt: «Es gab schon viele grosse Champions. Angefangen bei John L. Sullivan, Jack Dempsey, Joe Frazier, Ken Norton, Lennox Lewis, Muhammad Ali, George Foreman, Mike Tyson, den Klitschko-Brüdern. Ohne arrogant klingen zu wollen: Ich würde mich nach ganz oben setzen.»
Logisch, Fury ist nicht der erste Boxer, der sich spontan selbst auf den Thron hievt. Man sollte keinem Kämpfer glauben, der kurz nach einem Sieg dampfend im Ring steht. Erst recht nicht in einem Geschäft, das wie kein anderes von Überzeichnung, Eigenwerbung und Selbstüberschätzung lebt. Aber jetzt mal ehrlich: Wer kann Fury widersprechen?
32 Profikämpfe hat er bestritten und nie verloren. Obwohl er mit Suchtproblemen und Depressionen zu kämpfen hatte, gesperrt worden und zwischenzeitlich zurückgetreten war, hat er die grossen Konkurrenten seiner Ära bezwungen: Er vertrieb Wladimir Klitschko von der Spitze des Schwergewichts, nachdem der Ukrainer fast zehn Jahre lang nicht hatte besiegt werden können. Und jetzt hat er sich gegen Deontay Wilder, einen der härtesten Puncher überhaupt, in drei Kämpfen klar durchgesetzt.
Jetzt behaupten die meisten wahrscheinlich: Er hat noch nie gegen Anthony Joshua gekämpft. Und überhaupt ist es nicht das Gleiche wie damals bei Ali, der mit Foreman, Frazier, Liston, Norton und Patterson im Ring stand. Nein, natürlich nicht. Aber es ist nicht Furys Schuld, dass die Leistungsdichte nicht mehr die gleiche ist wie früher. Und wer sagt denn, dass der Engländer nicht auch gegen die Grössten bestehen würde?
Fury ist ein riesiges, monströses Chamäleon, das sich jeder Situation anpassen kann. Er kann nicht nur problemlos von einer Links- in eine Rechtsauslage wechseln, sondern er kann sich komplett auf den Gegner einstellen. Er kann sich entziehen, aus der Defensive agieren, so wie 2015 gegen Klitschko. Aber er kann mit seiner Wucht auch nach vorne gehen und attackieren. Und wer will einen Koloss von 2,06 Metern und rund 130 Kilo bezwingen, der selbst nach den härtesten Schlägen immer wieder aufsteht?
Selbst ein Boxer wie Mike Tyson ist von seinen Gegnern irgendwann entschlüsselt worden. Bei Fury ist das nicht der Fall. Und mit 33 hat er in den kommenden Jahren noch genug Zeit, um alle davon zu überzeugen, dass er tatsächlich der grösste Boxer der Geschichte ist. Tilman Pauls
Nein, Fury mag einer der stärksten Boxer seiner Generation sein. Doch mit den Grossen der Geschichte kann er es nicht aufnehmen.
Tyson Fury ist bestimmt ein guter Boxer. Doch der Grösste ist er nicht einmal dort, wo er alle Gegner überragt: Fury misst zwar 206 Zentimeter, ist damit aber sieben Zentimeter kürzer als Nikolai Sergejewitsch Walujew, der von 2005 bis 2007 auf dem Thron sass.
Zugegeben: Fury mit Walujew zu vergleichen, ist ein Witz, wenn es um die boxerischen Mittel geht. Der russische Riese war ein ungelenker Kämpfer, der sich auf Reichweite und Grösse verliess. Schwere Kopftreffer konnten die kleineren Gegner kaum je platzieren. Oft siegte Walujew so nach Punkten, nur einmal ging er zu Boden.
Allein zweimal wurde Fury am Samstag auf die Bretter geschickt, jeweils in der vierten Runde. Das spricht sowohl für die Qualität des Gegners als auch für den attraktiven, unberechenbaren Stil des Briten. Dass er den Fight trotzdem für sich entschied, verweist zudem auf seine Nehmerqualitäten. Und wenn man hinzuaddiert, dass er noch keinen Kampf verloren und dabei mit Ausnahme Anthony Joshuas schon alle Gegner seiner Zeit geboxt und besiegt hat, dann kommt man voreilig auf die Idee, dass es noch nie einen Besseren als Fury gegeben hat – zumal sich eine Sportart ja weiterentwickelt.
Nur: Beim Boxsport ist das anders. Das Material unterscheidet sich unwesentlich von jenem, das vor einem halben Jahrhundert benutzt wurde. Die Schläge sind ebenfalls die gleichen. Und die Physis? Es spricht nicht für seine Ära und seine Gegner, dass Fury siegt, ohne austrainiert zu sein. Anders als andere Grosse vor ihm.Mike Tyson war so einer – in seiner Blütephase erledigte er die Gegner in der ersten Runde. George Foreman war ein anderer, mit einer Rechten, die auch mit 46 noch genügte, um ein zweites Mal Weltmeister zu werden. Es gab Joe Louis, den «Braunen Bomber». Und auch Rocky Marciano, den Unbesiegten.
Schliesslich ist da noch Muhammad Ali, der auch ohne seine soziohistorische Bedeutung vielen als «The Greatest of All Time» gilt. Einer der besten Techniker mit grossen Nehmerqualitäten und taktischen Variationen. Besser als alle anderen aus seiner Generation. Liston, Patterson, Frazier, Foreman, Norton, Spinks hat er besiegt – eine Ansammlung von Namen aus der Box-Ruhmeshalle, die man bis heute kennt. Sollte man Fury in 50 Jahren auch noch kennen, hat er bereits sehr viel erreicht. Mehr wird es nicht werden. Oliver Gut
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Verpasst die Schweiz nach Xhakas Ausfall nun die WM?Soll der FCB den Vertrag mit Fabian Frei verlängern?Hat der Laver-Cup ohne den Spieler Roger Federer eine Zukunft?
Fehler gefunden?Jetzt melden.