Karrierenende der grossen NamenIst die Zeit der internationalen Schweizer Sportstars vorbei?
Tom Lüthi tritt Ende Saison zurück, Roger Federer könnte nach seiner erneuten Operation nie mehr auf die ATP-Tour zurückkehren. Wie geht es nach diesen Verlusten mit dem Schweizer Sport weiter?

Ja, in den populären Sportarten hat der Verlust von Schweizer Spitzenklasse bereits begonnen und wird weitergehen. Nachfolger sind kurzfristig keine in Sicht.
Die internationale Strahlkraft des Schweizer Sports lässt stark nach, vielleicht ist sie sogar jetzt schon vorbei. Auf jeden Fall hat sie ihren Zenit überschritten, und es ist nicht absehbar, dass sie in naher Zukunft wieder auf das Level kommt, das sie sich einst zuschreiben lassen durfte. «Internationale Strahlkraft des Schweizer Sports» meint die Wirkung von Schweizer Sportlerinnen und Sportlern auf Menschen im internationalen oder gar globalen Kontext. Diese internationale Wirkung ist nur bei populären Sportarten gegeben. Deshalb sollen Randsportarten, die nur bei den Olympischen Spielen eine grössere öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, hier nicht Thema der Debatte sein – ohne sie kleinreden zu wollen.
Internationale Anerkennung erfahren Schweizer Athletinnen und Athleten vornehmlich im Fussball, im Tennis, im Handball, im Radsport, im Motorsport und natürlich im Wintersport. Und genau in diesen Sportarten hat der Verlust von Schweizer Spitzenklasse bereits begonnen, und er wird sich in den nächsten Jahren leider fortsetzen. Didier Cuche, Fabian Cancellara und Tom Lüthi sind Beispiele für Athleten, die aufgrund ihrer Errungenschaften das Prädikat von internationaler Spitzenklasse innerhalb einer populären Sportart erfüllten. Sie alle haben ihre Karriere bereits beendet. Noch schlimmer ist jedoch der Blick in die Zukunft – der Ausblick auf die kommenden fünf Jahre.
Roger Federer, Stan Wawrinka, Andy Schmid, Dario Cologna, Simon Ammann, Beat Feuz – sie alle gehörten zu den Grössten ihres Fachs, sind jedoch weit über 30 Jahre alt und haben ihren Zenit bereits überschritten. Selbst wenn sie noch einmal grosse Erfolge feiern sollten – für allzu lange Zeit werden sie dazu nicht mehr in der Lage sein. Und was kommt danach? Talente wie Dominic Stricker im Tennis sind noch nicht reif genug, dass man abschätzen könnte, was wirklich in ihnen steckt. Marco Odermatt oder Loïc Meillard haben bereits bewiesen, dass sie das Zeug dazu haben, im Skisport ganz oben mitzufahren. Wenn überhaupt, werden die grossen Stars von internationalem Format im Schweizer Sport jedoch voraussichtlich nicht mehr wie in der Vergangenheit bei den Männern, sondern eher bei den Frauen anzutreffen sein.
Belinda Bencic oder Jil Teichmann haben erst kürzlich bewiesen, dass sie bereits jetzt schon grosse Turniere für sich entscheiden können. Im Ski-Alpin-Gesamtweltcup belegten mit Lara Gut-Behrami, Michelle Gisin und Corinne Suter gleich drei Schweizerinnen Top-Ten-Abschlussränge. Der Schweizer Volkspsyche mag es guttun, dort eine rosige Zukunft vor sich zu haben – auch schon kurz- bis mittelfristig. Doch der Frauensport besitzt leider nach wie vor nicht denselben Status wie der der Männer, weshalb die grossen Jahre des internationalen Charismas im Schweizer Sport wohl vorerst vorbei sind. Benjamin Schmidt
Nein, denn neue Stars können den Schweizer Sport in ein anderes Zeitalter führen und moderne Sportarten in den Fokus rücken.
Die grossen Namen des Schweizer Sports lassen ihre Karrieren ausklingen oder haben ebendiese bereits beendet. Und trotzdem hat die Schweiz in Tokio soeben die erfolgreichsten Olympischen Spiele seit 1957 erlebt. 13 Medaillen fanden den Weg in die Heimat. Gewonnen wurden sie nicht von jenen, die in den vergangenen Jahren Erfolgsgaranten waren. Kein Roger Federer, kein Stan Wawrinka, kein Nino Schurter. Die neuen Schweizer Aushängeschilder sind jünger und weiblicher. Sie können den Schweizer Sport in ein neues Zeitalter führen und moderne Sportarten in den Fokus rücken.
Zum Beispiel Beachvolleyball. Ein Turnier gleicht dort einer Party. Musik, Sand, Sonne, dazu spektakulärer Sport und grosse Emotionen. Alles, was das Social-Media-Herz begehrt. Mit den Duos Heidrich/Vergé-Dépré und Hüberli/Betschart hat die Schweiz gleich vier Figuren, die den Sprung an die Weltspitze geschafft haben. In den klassischen Medien werden ihre Namen wohl auch weiterhin vor allem bei Weltmeisterschaften oder den Olympischen Spielen auftauchen, im Netz aber werden ihre Smashs um den gesamten Globus gehen.
Dem Mountainbike fehlt zwar das Strand-Feeling, dafür gibt es dort Schlamm und gefährliche Abfahrten. Es ist kein Zufall, dass Red Bull sich seit Jahren in dieser Sportart engagiert. Sie ist bei der Zielgruppe – Jugendlichen – beliebt, ihre Bilder sind aussergewöhnlich. Spätestens nach dem historischen Dreifachsieg der Schweizerinnen rund um Jolanda Neff ist klar: Die Schweiz ist auch nach Nino Schurter das Zentrum dieses Mountainbike-Universums.
Daneben gibt es Schweizer, deren Stellenwert in Amerika deutlich höher ist als in der Heimat. Clint Capela, inzwischen bei den Atlanta Hawks, unterschrieb 2018 einen Fünfjahresvertrag, der ihm 90 Millionen US-Dollar zusicherte. Nie zuvor hatte ein Schweizer Mannschaftssportler eine derartige Summe erhalten. Seine Sportart: Basketball – noch so eine Disziplin voller Tempo und Spektakel. Nicht zu vergessen: Nico Hischier, der Berner Eishockey-Profi, der 2017 von den New Jersey Devils als Erster gedraftet wurde und das Team inzwischen als Captain anführt.
Und dann ist es ja nicht so, dass die Schweiz in den klassischen Sportarten keine Weltklasse-Athleten mehr besitzen würde. Belinda Bencic, Mujinga Kambundji, Lara Gut-Behrami, Marco Odermatt, Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri. Alles Namen, die auch im Ausland längst ein Begriff sind. Die Sportler und ihre Sportarten mögen sich verändern, die Bedeutung des Schweizer Sports und ihrer Aushängeschilder aber bleibt. Fabian Löw
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen:Xhaka und Arsenal – wird diese Ehe doch noch glücklich?Hat PSG mit Messi die stärkste Mannschaft in der Geschichte des Fussballs?Zeigt das Schweizer Fernsehen zu viel Olympia?Braucht es die Conference League wirklich?Gehören Zuschauer ins Stadion?Holt sich Roger Federer nun sogar den Titel?Werden die Schweizer nun Europameister?War die Europameisterschaft bisher ein Fussballfest?
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