Wochenduell: Patrick Fischers erfolgreiches TeamIst die Schweiz eine grosse Hockeynation?
Die Eishockey-Nationalmannschaft zeigt seit Jahren konstant gute Leistungen, mit dem einen oder anderen Ausreisser sogar nach oben. Reichts nun an der WM zum Titel?

Ja: Ob Nationalmannschaft, Einzelspieler, heimische Liga oder Fans: Die Schweiz mischt im Eishockey in jeder Hinsicht ganz oben mit
Drei Siege zum Auftakt der Eishockey-Weltmeisterschaft in Finnland, darunter eine 6:0-Gala gegen Dänemark: Die Nationalmannschaft hat einmal mehr den Beweis erbracht, dass die Schweiz im Hockey zu den Grossen gehört.
Dies beginnt natürlich mit der Nationalmannschaft selbst. Diese befindet sich zurzeit auf Rang sechs der Weltrangliste, ist damit so gut klassiert wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dass man sich an grossen Turnieren für die K.-o.-Phase qualifiziert, ist längst eher Pflicht als Ausnahme. 2018 holte sich das Team von Patrick Fischer sogar die WM-Silbermedaille, besiegte auf dem Weg in den Final unter anderem Finnland und Kanada. Seither ist klar: An einem guten Tag können die Schweizer jeden Gegner bezwingen. Und auch sonst stimmt die Mentalität der Mannschaft. Uninspirierte Auftritte oder Ausrutscher gegen vermeintlich Kleine sind höchst selten.
Doch nicht nur das Team überzeugt, sondern auch die Einzelspieler. Roman Josi, Nico Hischier oder Nino Niederreiter etwa sind absolute Topstars, die unglaubliche Qualität und reichlich NHL-Erfahrung ins Team bringen und ohne Zweifel für den entscheidenden Unterschied sorgen können. Wer solche Spieler in seinen Reihen weiss, gehört ganz einfach zur Weltspitze.
Diese Aussage bestätigt sich auch beim Blick auf die heimische Liga. Die National League gehört ohne Zweifel zu den Topligen Europas, geniesst inzwischen auch in Amerika ein hohes Ansehen. Ihre sportliche Attraktivität, gepaart mit dem hohen Lohnniveau, lockt nicht nur starke ausländische Spieler in die Schweiz, sondern sorgt gleichzeitig dafür, dass der Strom an heimischen Talenten nicht abreisst.
Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Denn Eishockey in der Schweiz ist beliebt, sehr beliebt sogar. Nirgendwo sonst in Europa besuchen so viele Fans die Spiele ihres Teams. 6139 Zuschauer waren es in der Saison 2021/22 durchschnittlich. Auf europäischer Clubebene befinden sich unter den fünf Teams mit dem höchsten Zuschauerschnitt deren vier aus der National League.
Ob Nationalmannschaft, Einzelspieler, heimische Liga oder Fans: Die Schweiz mischt im Eishockey in jeder Hinsicht ganz oben mit. Keine Frage also, dass man sie zu den Grossen zählen darf. Darius Aurel Meyer
Nein: Ohne Titelgewinn kann die Schweiz schlicht noch keine grosse Eishockeynation sein
Eine Silbermedaille an der Eishockey-WM 2013, eine Silbermedaille 2018 – das Schweizer Abschneiden an Weltmeisterschaften in den letzten 20 Jahren könnte wahrlich schlechter sein. Für den ganz grossen Wurf hat es bisher jedoch noch nicht gereicht. Da sind Topnationen wie Kanada, Russland, Tschechien, Schweden, Finnland, die USA oder auch die Slowakei, die 2002 triumphierte, der Schweiz noch eine Nasenlänge voraus. Sie machten in den letzten Jahrzehnten die Titelgewinne unter sich aus. Zu diesen Teams gilt es aus Schweizer Sicht in den nächsten Jahren aufzuholen, wenn man die hohen Erwartungen an sich selbst erfüllen und eine grosse Eishockeynation sein will.
Zumal auch die Ergebnisse an Olympischen Spielen dagegensprechen, die Schweiz bereits als solche zu bezeichnen. Mehr als zwei Bronzemedaillen sind bisher noch nicht herausgesprungen. Besonders die Schweizer Performance an den vergangenen Winterspielen in Peking liess zu wünschen übrig: In der Gruppenphase gewann das Team von Trainer Patrick Fischer kein Spiel, und im Viertelfinal war gegen den späteren Turniersieger aus Finnland Endstation.
Gut, man könnte nun argumentieren, dass dieser Mannschaft die Spieler aus der NHL fehlten. Diese sorgen nun mal für dieses Quäntchen an Qualitätsunterschied, das dazu führt, eine stärkere Teamleistung abzuliefern. Doch andere Länder hatten dieses Problem auch. Und sie haben den Vorteil, auf einen breiteren Pool an NHL-Spielern zurückgreifen zu können, wenn diese Möglichkeit im Normalfall besteht. Ohnehin hat keine Topnation immer Zugriff auf alle Akteure aus der amerikanischen Profiliga. Wenn der Spieler mit seinem Club noch im Rennen um den Stanley-Cup ist, oder auch aus persönlichen und physischen Gründen seine Teilnahme an einem Nationenturnier absagen muss, dann können andere Teams gewichtige Absenzen besser abfedern als die Schweiz, die auf die Teilnahme dieser Spieler schlicht angewiesen ist.
So ist es daher erfreulich, dass die Schweizer Eishockeynationalmannschaft an der diesjährigen WM in Finnland sieben NHL-Spieler und einen AHL-Spieler im Kader hat. Vielleicht sorgt die Mischung mit erfahrenen NLA-Akteuren dafür, dass die Schweiz diesmal ganz vorne landet – und sich somit endgültig den Ruf als grosse Eishockeynation erarbeitet. Dafür muss sie aber erst den Titel holen. Daniel Schmidt
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, welche die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Kann Carlos Alcaraz so dominieren wie Federer, Nadal und Djokovic? Ist die Formel 1 so spannend wie seit 20 Jahren nicht mehr? Ist es gut für den Sport, wenn die zwei wichtigsten Titel nach Zürich gehen? Sollen Bodychecks im Eishockey verboten werden? Gewinnt Tiger Woods nochmals ein Major-Turnier?
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