
Seit einer Woche ist der Zolli wieder offen. Die Leute kamen am Eröffnungstag zwar nicht in Massen. Das dürfte am wechselhaften Wetter gelegen haben. Doch auf den Mienen der Besucher, die sich zu einer Visite entschlossen hatten, spiegelte sich Heiterkeit, Entspannung und, ja – vielleicht sogar so etwas wie Glück. Endlich war diese Oase im Asphaltdschungel von Basel, eine mittlerweile 146 Jahre alte Attraktion, wieder zugänglich.
Der Zolli lebt. Doch das sehen nicht alle so. Der «Tages-Anzeiger» verkündete am Tag der Wiederöffnung den Tod des traditionellen zoologischen Gartens als Institution. Er sinnierte: «Wie bei allen Kulturangeboten stellt sich auch hier die Frage: Braucht es das noch, nach Corona?»
«Schuldlose Inhaftierung»
Das Blatt stimmt damit in den Chor jener Kulturpessimisten ein, die Zoobesuchern seit Jahren in schöner Regelmässigkeit die gute Laune verderben und ihnen ein schlechtes Gewissen einreden wollen. Tierschützer fordern immer wieder die Abschaffung der Zootierhaltung; sie reden von «Tiersklaverei». Medien lehren ihre Leser das Gruseln, indem sie Zoogehege mit Gefängnisbauten gleichsetzen; sie schreiben von «Tierknästen».
Die Kritiker verkünden: «Wer das Tier als dem Menschen gleichwertig betrachtet, muss die Zoohaltung als schuldlose Inhaftierung ablehnen.» Der Erfolg der Tiergärten habe den Menschen nicht davon abgehalten, «die Natur in nie gesehenem Tempo zu übernutzen und zu zerstören». Die Gehege seien so etwas wie Bühnen in einem zoologischen Disneyland, und «wenn das Spektakel ausbleibt, trotten wir eben weiter».
Das pauschale Urteil über den Zoobesucher lautet: schuldig, ohne Chance auf Bewährung. Vorgeworfen wird ihm, dass er sich in einer «doppelt passiven Rolle» befinde: «Er schaut Tieren bei ihrem Treiben zu. Und er schaut zu, wie Tiere aussterben.»
Geschichte einer Verwandlung
Müssen wir jetzt also mit gesenktem Blick im Zolli herumschleichen, Verbrechern gleich – falls wir es überhaupt noch wagen, die Anlage zu besuchen?
Nein, wir dürfen dort weiterhin erhobenen Hauptes flanieren. Wir können auch künftig die Wildhunde beobachten, die Löwen bestaunen, im Restaurant eine Glace essen und beim Betrachten der Störche, die am Himmel über dem Zolli ihre Kreise ziehen, für einen Moment vergessen, dass die Schwerkraft existiert.
Der Zoo verändert weniger die Tiere, die dort ein womöglich stressfreieres Leben führen als in der brutalen freien Wildbahn, als vielmehr uns Menschen. Entrückt vom Alltag, stolpern wir keineswegs, wie man uns das vorhält, wie tumbe Ignoranten über die Wege und ergötzen uns am Spiel der drolligen Schimpansen, die sich mit ihrem Getue selbst zum Affen machen. Wir lernen beim Zoobesuch im Gegenteil sehr viel.
Wir realisieren, dass der Mensch, der sich für die Krone der Schöpfung hält, klein und verwundbar ist neben Raubtieren, Nashörnern, Krokodilen. Wir bewundern die scheinbar schwerfälligen Elefanten, die mit ihren Rüsseln geschickt Nahrung aus Futterkörben angeln. Wir sind verblüfft über die bunte Vielfalt der Fische, die sich im Vivarium tummeln.
Während wir etwas über das Leben der Tiere lernen, lernen wir gleichzeitig, wieder zu staunen. So kann die Geschichte eines Zoobesuchs zur Geschichte einer Verwandlung werden: Im Zolli gelangen wir zu neuen Einsichten über die Welt und über uns selbst.
Unterhaltung darf sein
Ein Tierfilm, den wir uns zu Hause am Fernseher als Ersatz für eine Zoovisite zu Gemüte führen, vermag uns vielleicht ebenfalls in den Bann zu schlagen. Doch es fehlt, was nur der Zoo uns bieten kann: die Unmittelbarkeit, die Nähe, der Geruch. Wenn der Löwe brüllt, fährt uns das durch Mark und Bein. Der Zoo erreicht die Herzen der Menschen, nicht nur ihren Verstand.
Und, seien wir ehrlich: Ein bisschen Spektakel, ein bisschen Unterhaltung im Zoo mögen wir alle – da ist nichts Verwerfliches dran, es darf sein. Die Gorillas machen sich ein Vergnügen daraus, uns zu beobachten, während wir unsere Nase an die Glasscheibe drücken, die sie von uns trennt. Warum sollen nicht auch wir unseren Spass haben, wenn wir ihnen bei ihrem Treiben zuschauen?
Der Zolli ist in Basel ebenso beliebt wie der Zoo in Zürich und andere Zoos in Europa. Das sei schizophren, hält man uns vor, denn während der Mensch Tiere im Zoo halte, zerstöre er doch gleichzeitig die Umwelt. Die Annahme, er würde die Natur weniger zerstören, wenn es keine Zoos gäbe, ist indessen naiv. Und der Vorwurf, der Mensch schaue im Zoo bloss dem Aussterben der Tiere zu, ist absurd. Jeder zahlende Besucher hilft dem Zoo, in Artenschutzprojekte auf anderen Kontinenten zu investieren.
Die Institution Zoo ist nicht tot. Im Gegenteil, sie geht mit der Zeit. Der Basler Zolli passt seine Konzepte und Gehege laufend an. Er hat das beispielsweise vor drei Jahren mit der neuen, grosszügig konzipierten Elefantenanlage gemacht und macht es derzeit mit dem Vogelhaus. Höchste Zeit also, ihm bald wieder einen Besuch abzustatten.
Der Zoo erreicht die Herzen der Menschen, nicht nur ihren Verstand.
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Leitartikel zur Tierhaltung im Zoo – Ist der Zolli tot? Der Zolli lebt!
Kulturpessimisten wollen uns die Freude am Besuch von zoologischen Gärten vermiesen. Dabei können wir fast nirgendwo das Staunen besser lernen als im Zoo.