Wochenduell: Depressionen und RücktritteIst der Druck im Frauentennis zu gross?
Die Weltranglistenerste Ashleigh Barty tritt zurück – mit 25 Jahren. Naomi Osaka redet über ihre Depressionen, und Viktoria Azarenka weint auf dem Platz. Braucht es ein Umdenken auf der WTA-Tour?

Ja: Ashleigh Bartys Entscheidung ist ein klarer Beweis dafür, unter welchem Druck Tennisspielerinnen stehen
Diese Nachricht kam vergangene Woche aus dem Nichts und schockte die gesamte Tenniswelt: Die derzeitige Weltranglistenerste im Frauentennis, die Australierin Ashleigh Barty, hört mit nur 25 Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere auf. Sie sei erschöpft und habe nichts mehr zu geben, so begründet sie ihren vorzeitigen Rücktritt. Bartys Entscheidung ist ein klarer Beweis dafür, unter welchem Druck Tennisspielerinnen stehen. Und diese Entwicklung hat ihren Ursprung bereits im Juniorinnenalter.
So scheint es auch nicht weiter verwunderlich, dass Barty schon einmal mit damals nur 18 Jahren ihre Karriere beendete und sich einer Laufbahn als Cricketspielerin zuwandte. Obwohl sie zwei Jahre später ihren Entschluss revidierte und in den darauffolgenden Jahren drei Grand-Slam-Titel gewann, kam sie mit den harten Gepflogenheiten einer Tenniskarriere immer weniger zurecht – bis sie sich letzte Woche davon befreite.
Auferlegt werden den Spielerinnen diese Gepflogenheiten in erster Linie von der WTA, die für den Turnierplan verantwortlich ist. Der ist eng getaktet und erfordert ein hohes Mass an Reisebereitschaft. Dieses chronische Reisen, in Verbindung mit dem Erfolgsdruck, an diesen Wettbewerben das Maximum herauszuholen, um in der Weltrangliste nach vorne zu kommen, und dem körperlichen und mentalen Verschleiss, der diese hohe Turnierkadenz verursacht, führt zu mehreren internen Druckfaktoren. Dazu gesellen sich externe Belastungen, wie die medialen Ansprüche.
Bestes Negativbeispiel dafür: Im vergangenen Jahr reiste die vierfache japanische Grand-Slam-Siegerin Naomi Osaka frühzeitig vom French Open in Paris ab, weil ihr aufgrund ihrer Weigerung, an der Pressekonferenz teilzunehmen, mit einem Turnierausschluss gedroht wurde. Begründet hat sie ihre Medienscheu mit ihrem mentalen Gesundheitszustand. Und dass dieser sich nicht auf einem sonderlich guten Niveau befindet, war auch in den Monaten danach zu beobachten, als sie an Turnieren immer wieder in aller Öffentlichkeit in Tränen ausbrach.
Die Aufgabe des Frauentennis ist es nun also, aufzupassen, dass es nach Ashleigh Barty nicht noch ein weiteres Aushängeschild vorzeitig verliert. Die WTA muss diesen Entwicklungen mit allen möglichen Massnahmen entgegenwirken. Dazu gehört, die Spielerinnen stärker zu unterstützen, zu entlasten und vor externen Belastungen zu beschützen. Eine Möglichkeit wäre, den Turnierkalender zu entschlacken oder den Akteurinnen freiere Hand beim Umgang mit der Presse zu gewähren. Auf diese Weise kann eine Wiederholung des Ereignisses aus der Vorwoche vermieden werden. Daniel Schmidt
Nein: Im Profisport sind Spitzenleistungen nur möglich, wenn Grenzen ausgelotet werden. Das Tennis darum umzustrukturieren, wäre der falsche Ansatz
Macht das Tennis seine Stars kaputt? Die langjährige Nummer 1 bei den Frauen, Ashleigh Barty, hat ihren Rücktritt verkündet. Die vierfache Grand-Slam-Siegerin Naomi Osaka hielt dem Druck auf der grossen Bühne nicht stand und musste eine Zwangspause einlegen. Die frühere Nummer 1 Viktoria Azarenka brach kürzlich bei einem Turnier in Kalifornien während eines Spiels in Tränen aus. Und sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern fehlen zurzeit einige Topspieler verletzt.
Tatsächlich, Tennis ist physisch und mental eine der erdrückendsten Sportarten. 15’000 Fans schauen zwei Menschen zu, wie sie sich teils mit über 200 Stundenkilometern einen Ball zuschlagen. Passieren Fehler, kleine Fehltritte oder schleichen sich Unkonzentriertheiten ein, können Sätze oder Turniere verloren gehen. Anders als in Teamsportarten kann ein schlechter Tag nicht durch einen Mitspieler kaschiert werden. Tennisspieler sind allein, im Erfolg und vor allem im Misserfolg.
Doch die jüngsten Ereignisse auf der WTA-Tour sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tennisspielerinnen im Vergleich zu Athletinnen aus anderen Sportarten einen hohen Stellenwert geniessen. Das Preisgeld ist bei den meisten Turnieren bei Frauen und Männern gleich hoch, in Wimbledon erhalten die Einzel-Sieger je zwei Millionen Franken. In der Liste der bestverdienenden Athletinnen im Jahr 2021 besetzten fünf Tennisspielerinnen die ersten fünf Plätze.
Natürlich, Geld schützt nicht davor, dass Athletinnen im Scheinwerferlicht irgendwann zusammenbrechen können. Und gerade im Tennis ist der Druck permanent, die Saison dauert von Januar bis Anfang November. Jedoch fliessen lediglich die Resultate der besten 18 Turniere in die persönliche Statistik für die Weltrangliste ein. Mit einer gesunden Jahresplanung können Tennisprofis die Belastung – sei es auf dem Court oder daneben bei Medienterminen – nachhaltig steuern.
«Ich bin erschöpft, ich habe nichts mehr zu geben.» Die Worte von Ashleigh Barty sind mutig, und sie zeigen, dass der erst 25-Jährigen nichts anderes übrig blieb, als sich vom Profisport zurückzuziehen. Barty ist so mutig wie Naomi Osaka, die öffentlich zugab, unter Depressionen zu leiden. Und ebenfalls so mutig wie beispielsweise die Kunstturnerin Simone Biles, als sie bei den Olympischen Spielen mental zusammenbrach und nicht zum Wettkampf antrat.
All diese Ereignisse wurden in der Medienwelt gross analysiert und in den Kommentarspalten hitzig diskutiert. Es zeigt das wahre Problem im Spitzensport, dass Schwäche zugeben grösstenteils noch immer als Schwäche wahrgenommen wird. Den Profisport, wo Spitzenleistungen schlichtweg nur dann möglich sind, wenn Grenzen ausgelotet und Risiken eingegangen werden, darum grundlegend verändern zu wollen, ist jedoch der falsche Ansatz. Tobias Müller
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, welche die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Ist Basel reif für Profi-Eishockey? Ist es richtig, dass Fussballerinnen gleich viel verdienen wie Männer? Ist es richtig, dass russische Sportler und Teams sanktioniert werden? Waren dies die emotionalsten Winterspiele aus Schweizer Sicht?
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