Wochenduell zum American FootballIst American Football doof?
Für manche ist American Football stumpf, langweilig und unverständlich. Für andere die perfekte Mischung aus Show, Strategie und Ästhetik. Was denken Sie?

Ja. Nicht nur, dass man sich erst in die Regeln einarbeiten muss – das Spiel ist auch schädlich für die Gesundheit der Spieler und durch etliche Pausen sowie Werbungen zusätzlich aufgebläht.
Tom Brady hat seine Karriere beendet! Und mit dem grössten Superstar des American Footballs dürfte auch die gesamte Sportart den Zenit ihrer Popularität überschritten haben. Brady war es, der den Sport besonders in Europa mit seiner Popularität und seiner Strahlkraft gross gemacht hat. Er war es, weswegen zahlreiche Menschen sogar spät in der Nacht den Fernseher eingeschaltet haben – und es in Zukunft nicht mehr tun. Denn dafür gibt es genügend gute Gründe.
Das Grundprinzip im American Football ist ziemlich banal: Zwei Teams treffen aufeinander. Die Offensive einer Mannschaft hat jeweils vier Versuche, um zehn Yards zurückzulegen. Die Defensive der gegnerischen Equipe versucht, dies zu verhindern. Ist sie erfolgreich, kommt deren Offensive aufs Feld und startet einen neuen Angriff. Das Ziel ist es, durch Lauf- und Passspielzüge den Ball in die Endzone des Gegners zu bringen: ein Touchdown, der sechs Punkte einbringt.
Das klingt so einfach, doch für den Laien ist es trotzdem kaum nachzuvollziehen, wie das Spiel im Detail funktioniert und welche Regeln wann gelten. Zudem sorgt für Unverständnis, wie durch brutale und rücksichtslose Defensivaktion Angriffe unterbrochen und vom Ursprungsort aus wiederholt werden. Darunter leidet nicht nur die Gesundheit der Akteure, sondern auch der Spielfluss: Bei einer Spielzeit von drei bis vier Stunden sind die Teams insgesamt nur knapp elf Minuten in Bewegung.
«Es ist verwunderlich, dass American Football überhaupt jemals derart an Popularität gewinnen konnte.»
Das alles macht ein Football-Spiel zu einer schwerfälligen Erfahrung. Zumal die meiste Zeit für Werbungen und sonstige Pausen verschwendet wird: Nach fast jedem Versuch wird in die Werbung geschaltet, was die Dauer einer Partie unnötig aufbläht. Und es führt auch dazu, dass das Interesse des Zuschauers schnell verloren geht, wenn man alle fünf Minuten dazu verleitet wird, sich ablenken zu lassen.
Wenn die Begegnung dann einmal im Gange ist, besteht unweigerlich Erklärungsbedarf: Beispielsweise gibt es nicht nur eine Offensive und eine Defensive, sondern auch sogenannte Special Teams, die für den «Punt», den «Return» oder das Kicken von «Field Goals» und Extrapunkten zuständig sind. Sie wissen nicht, was das ist oder in welchem Zusammenhang es steht? Eben!
Will man alle Antworten bekommen, muss man sich erst einmal durch einen Lernprozess kämpfen, ehe man irgendwann Gefallen am American Football finden kann. Da die Massentauglichkeit eines Sports sich aber nicht selten durch Simplizität und Fairplay auszeichnet, ist es doch verwunderlich, dass American Football trotz seines komplizierten Regelwerks, der brutalen Spielweise und der endlosen Kommerzialisierung überhaupt jemals derart an Popularität gewinnen konnte. Und wer weiss, vielleicht nimmt der Zuspruch nach Bradys Karriereende ja auch bald wieder etwas ab. Daniel Schmidt
Nein – Football ist mehr als nur ein Gewaltakt. Mehr und mehr verzaubert er mit seiner Dramatik und seinem Show-Charakter europäische Fans
Im letzten Herbst fand zum ersten Mal ein Spiel der National Football League auf deutschem Boden statt. In der Münchner Allianz Arena spielten die Tampa Bay Buccaneers gegen die Seattle Seahawks. Rund 67’000 Zuschauer waren im ausverkauften Stadion anwesend. Und noch beeindruckender ist die Zahl derjenigen, die nicht da waren: Drei Millionen Tickets hätten laut NFL-Deutschland-Chef Alexander Steinforth für die Partie verkauft werden können. Drei! Millionen!
Allein diese Zahl beweist: dass American Football, dessen Popularität sich bislang hauptsächlich auf die Fans in Nordamerika beschränkte, eine drastische Expansion in Richtung Europa erfährt. Der Hype ist riesig – vor allem bei jüngeren Generationen. Und er wird weiter wachsen, selbst wenn mit Tom Brady der grösste Spieler der Geschichte die Bühne verlassen hat.
Ein Grund, weshalb American Football immer beliebter wird, ist der Show-Charakter: Als der TV-Sender ProSieben – respektive dessen Ableger ProSieben Maxx – im Jahre 2015 mit der ersten Übertragung von regulären NFL-Spielen begann, erschloss sich dem europäischen Zuschauer ein Bild, das er so nicht kannte. Spieler-Choreografien beim Touchdown-Jubel, spektakuläre Halbzeit-Darbietungen, Zuschauer, die als Wikinger verkleidet bei minus 20 Grad auf der Tribüne feiern.
«Die Sportart mag in ihren Details zwar komplex sein, doch die Grundregeln sind einfach zu verstehen.»
Doch auch abseits der Show bietet die NFL so vieles, was beispielsweise der Fussball häufig nicht mehr kann. Eine ausgeglichene Meisterschaft, basierend auf dem Draft-System, sowie die Tatsache, dass jedes Team mit gleich viel Geld operieren muss. Echte Charaktere, die vor dem Mikrofon noch wirklich sagen, was sie denken, anstatt monotone Floskeln herunterzuleiern. Packende Spiele, die vor allem im Playoff nicht an Dramatik zu überbieten sind und nicht durch Spassdämpfer wie Zeitspiel manipuliert werden können.
Die Sportart mag in ihren Details zwar komplex sein, doch die Grundregeln sind einfach zu verstehen. Und wer die Sportart als einzigen Gewaltakt verschreit, der übersieht die Ästhetik, Strategie und den Perfektionismus, mit dem sie ihre Fans Jahr für Jahr verzaubert – mehr und mehr auch in der Schweiz. Benjamin Schmidt
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