In Trumps Falle
Um zu zeigen, dass auch sie auf der richtigen Seite steht, legt sich Theresa May mit dem mächtigsten Twitter-Troll der Welt an. Hätte sie ihn ignoriert, hätte sie seine Kommunikationsstrategie unterlaufen können.

Politiker, gleich welcher Couleur, sind Heuchler. Das ist keine populistische Ausfälligkeit, sondern eine nüchterne Feststellung: Unablässig kritisieren Politiker Fehler und Versäumnisse konkurrierender Politiker. Dagegen ist auch wenig einzuwenden, besteht eine ihrer Aufgaben doch darin, einander zu kontrollieren. Aber wer ist selbst schon ohne Fehl und Tadel? Politik ohne Heuchelei ist so gesehen gar nicht möglich, weswegen politische Journalisten gegenüber der alltäglichen Scheinheiligkeit auch meist Nachsicht walten lassen und erst aufschreien, wenn diese das normale Mass an Unverfrorenheit überschreitet.
Einer macht sich diese systemimmanente Schwäche der Politik wirkungsvoller zunutze als jeder andere: Donald Trump, bezeichnenderweise selbst ein politischer Quereinsteiger. Wer ihn angreift, dem reibt er dessen eigene Schwächen unter die Nase. Am Dienstag teilte er auf Twitter Videos von Jayda Fransen, einer bis dahin weitgehend unbekannten Funktionärin einer ebenso wenig bekannten rechtsextremen britischen Splitterpartei namens Britain First. In den Videos waren gewalttätige Übergriffe und die Zerstörung einer Marienstatue zu sehen. Im Begleittext hiess es, die Übeltäter seien Muslime; die Aufnahmen gelten als Fälschung.
Dort, wo er sie haben wollte
Einige britische Politiker, darunter Premierministerin Theresa May, verurteilten daraufhin Trumps Vorgehen. Damit hatte Trump einmal mehr eine Berufspolitikerin dort, wo er sie haben wollte. «@Theresa_May, konzentrieren Sie sich nicht auf mich, konzentrieren Sie sich auf den zerstörerischen radikal-islamischen Terrorismus im Vereinigten Königreich», twitterte er am Mittwochabend. In den Augen nicht weniger Betrachter hatte er damit einen Punkt: Was schert sich diese Politikerin, die nicht einmal in der Lage ist, ihre Landsleute zu schützen, um Trumps Tweets, dürften sich nicht nur dessen Anhänger gefragt haben.
Was May getan hat, wird im angelsächsischen Raum als virtue signalling bezeichnet, als Tugenddemonstration, die einzig und allein dem Zweck der eigenen Positionierung dient. Virtue signalling ist längst nicht nur auf die Politik beschränkt, es kommt überall dort vor, wo sich Menschen oder Institutionen öffentlich präsentieren. Einen besonders absurden und daher erwähnenswerten Fall erlebte ich vor einigen Monaten bei einem Europapokalspiel zwischen Tottenham Hotspur und KAA Gent. Die im Stadion versammelten Fussballfans wurden dabei im Namen des europäischen Fussballverbands Uefa nicht weniger als vier Mal aufgefordert, «Nein zu Rassismus» zu sagen, zweimal auf Englisch und zweimal auf Niederländisch.
Unverschämte Aufforderung
Durchdenkt man diese Aufforderung, kommt man nicht um die Erkenntnis umhin, dass es sich dabei um eine ziemliche Unverschämtheit handelt: Für die grosse Mehrheit der Westeuropäer ist es eine Selbstverständlichkeit, Rassismus abzulehnen. Was denken die Uefa-Funktionäre von mir, dass sie meinen, mich dazu drängen zu müssen? Umgekehrt dürften die wenigen Rassisten, die sich unter den Zuschauern befunden haben mögen, ihre Haltung kaum auf Bitten des Stadionsprechers geändert haben. Folglich hatte die Übung keinen anderen Zweck, als zu demonstrieren, dass auch die Uefa auf der Seite derer steht, die Rassismus ablehnen. Hätte irgendjemand daran gezweifelt?
Ähnlich verhält es sich mit Mays Tadel an Trump: Dieser war unnötig, denn niemand, der einigermassen guten Willens ist, hätte ihr Zustimmung zu Trumps Twitterei oder gar Sympathien für eine rassistische Splitterpartei wie Britain First unterstellt. Womöglich rechnete May damit, dass einige ihr eine fehlende Distanzierung ankreiden würden, doch das macht das Ganze nicht besser: Sie hätte Trump ignorieren und ihre Kritiker schwadronieren lassen können.
So aber ging sie in Trumps Falle – und verschaffte dem mächtigsten Twitter-Troll der Welt Munition.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch