In fünf Stunden vom Schuss bis zur Wurst
Die Sissacher Metzgete verläuft trotz den Protesten von Tierschützern ohne Zwischenfälle.

Samstagmorgen, 8 Uhr. Sissach liegt unter einem leichten Nebelschleier, die Kirchenglocken läuten das Wochenende ein. Eine kleine Trauergemeinde hat sich – ganz in Schwarz –in einem Gässlein im Ortszentrum eingefunden. Die Trauernden schweigen und halten sich an einem Transparent fest: «Tiere fühlen, Tiere leiden.» Im angrenzenden Hof passiert in wenigen Augenblicken, was zu einer Kontroverse zwischen Tierschützern und Fleischessern geführt hat: die öffentliche Schlachtung zweier Schweine.
In einem abgeschirmten Bereich drängen sich weit über hundert Personen um das offene Zelt, das für die Vorführung hergerichtet worden ist. Kein Mucks ist zu vernehmen. Der Sissacher Metzger Rolf Häring setzt das Bolzenschussgerät auf der Stirn einer 130 Kilo schweren Sau an und drückt ab. Ein fünf Zentimeter langer Bolzen dringt durch die Schädeldecke ins Hirn. Sofort rücken zwei weitere Metzger, das betäubte Tier zurecht, damit Häring mit der langen, spitzen Klinge seines Messers mit einem präzisen Stich die Halsschlagader durchtrennen kann. Drei bis vier Liter Blut strömen in ein Plastikbecken. Die Sau zuckt, ihre Bewegungen pumpen das Blut und den letzten Rest Leben aus ihr heraus. Zwei Minuten, vielleicht drei, dann regt sich das Tier nicht mehr. Es ist tot. Jetzt breitet sich im Hof leises Gemurmel aus. Es scheint, als hätten bis dahin alle den Atem angehalten.
Der Stich in die Kehle
Die Schlachter hieven das Schwein in einen Bottich, schieben ihn beiseite, spülen das Blut vom Boden. Das zweite Tier, das in einem Verschlag aus Paletten und Strohballen mit Äpfeln gefüttert wurde, soll nicht sehen, was ihm blüht. Als der Schlachtplatz wieder hergerichtet ist, bindet ihm ein Helfer einen Strick um den Hinterlauf und zerrt es aus seinem Plätzchen. Das Schwein will quiekend fliehen, die Metzger bleiben konzentriert, versuchen, es an den Ohren und am Strick zerrend zu bändigen. Zuschauer holen tief Luft. Als es sich in eine Nische zwängt und hinlegt, ergreift Häring ruhig das Betäubungsgerät und drückt ab. Das zuckende Schwein wird auf die offene Fläche gezogen, erneut erfolgt der Stich in die Kehle. «Es ist gut, wenn das Tier zappelt», erklärt Häring, «dann kommt das Blut raus.»
Die Anwesenden machen nicht den Eindruck, als seien sie auf Blut aus. Sie sind aus Interesse gekommen, aus Neugier oder aus Sympathie für einen Metzger, der stolz ist auf sein Handwerk und dessen Tradition. Auf Maschinen hat Rolf Häring für die Vorführung bewusst verzichtet, er benützt ausschliesslich traditionelle Geräte: Bottich, Holzbock, Spaltmesser, Waage, Brühkessel.
Es sind vor allem Ältere gekommen, für die eine Hausmetzgete so etwas Selbstverständliches ist wie das Backen von Brot. Eine 61-jährige Frau freut sich über die Vorführung. Sie sei Bauerntochter, die Lehre habe sie in einer Metzgerei gemacht; Häring lasse mit der Vorführung eine Tradition aufleben. Auch einige Familien sind unter den Schaulustigen. «Die Kinder wollten es sehen – auch das Töten», sagt eine Mutter. An die etwa zehn erschienenen Journalisten richtet Häring einen Appell: «Bitte verzichtet darauf, Bilder mit viel Blut darauf zu zeigen. Wenn man es nicht kommentieren kann, kommt es bei den Leuten zu Hause nicht gut an.»
Was nun folgt, ist Schwerarbeit: Die Metzger übergiessen die Sau im Bottich mit kochendem Wasser, legen eine Kette um den Körper und reiben sie daran, um die Borsten von der Schwarte zu entfernen. Mit Schabern, sogenannten Glocken, putzen sie nach. Die restlichen Haare werden mit einem Gasbrenner abgesengt.
Der Schnitt durch die Wirbelsäule
Mit vereinten Kräften wuchten die Metzger das enthaarte Schwein an einen Bock. Mit einem Schnitt trennt der Metzger die Bauchdecke des an den Hinterläufen aufgehängten Tiers auf. Er entnimmt das Gedärm und die Innereien: Herz, Lunge, Leber – die Zutaten für die Leberwurst. Dann schneidet er die Bauchspeicheldrüse heraus: «Die holte früher der Schwartenhändler ab, der sie an Insulinproduzenten weitergab.» Er hält die Gallenblase hoch: «Daraus machte man Seife.» Das Fleisch, das die Speiseröhre umgibt, sei früher als Hülle für Zungenwurst verwendet worden, die Milz, einst Bestandteil der Leberwurst, sei heute noch gut genug für Katzenfutter. Und in den mehr als 30 Meter langen Dünndarm werde Bratwurstbrät gepresst.
Mit dem Spalter, einem schweren, handgeschmiedeten Messer, durchtrennt der Metzger die Wirbelsäule und den Kopf. Spätestens jetzt ist aus dem Tier Ware geworden. Die Trauergemeinde ist längst abgezogen, auch die Zuschauerreihen lichten sich. Für die Metzger ist noch lange nicht Feierabend. Die Hälften werden zerteilt, Fleischstücke extrahiert. Die Schwarte kommt in die Leberwurst. Ebenso weitere Innereien und der ganze Kopf. Nach 45 Minuten im kochenden Wasser werden die Teile ausgebeint durch den Wolf gedreht, gewürzt, in Därme gepresst und diese verknotet. Für die Blutwurst vermengen die Metzger das Blut mit Milch und in Schweinefett gerösteten Zwiebeln.
Als Häring die gekochten Blutwürste fünf Stunden nach dem ersten Schuss den verbliebenen Zuschauern zum Degustieren reicht, ist er zufrieden. Und als sie den Daumen hochhalten, lacht er übers ganze Gesicht. Also doch nicht alles falsch gemacht.
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