Infektion nach Reise«In der albanischen Community ist der Impf-Widerstand erschreckend gross»
In Schweizer Spitälern liegen viele ungeimpfte Ferienrückkehrer aus Kosovo und Nordmazedonien. Ein Politiker mit Wurzeln auf dem Balkan äussert sich zu möglichen Gründen.

Was bisher meist Anekdoten oder Vermutungen waren, ist nun erstmals durch nationale Daten gestützt: Bei 40 Prozent der Patientinnen und Patienten, die derzeit mit Covid-19 in einem Schweizer Spital liegen, handelt es sich um Reiserückkehrer – und bei 80 Prozent von ihnen wird vermutet, dass sie sich in Kosovo oder Nordmazedonien angesteckt haben. Zu diesem Befund kommt die wissenschaftliche Corona-Taskforce des Bundes in ihrem neuesten Lagebericht.
Schon nur der Umstand, dass die Taskforce diese Zahlen am Dienstag kommunizierte, löste eine Debatte aus. Auf Twitter regte sich eine grünliberale Politikerin darüber auf, dass nun an der Medienkonferenz der Taskforce «über Ausländer» geredet werde: «40 Prozent der Hospitalisierten sind Migranten, was ist mit dem Rest? Sind das dann die SVP-Wähler oder stammen sie vom Planeten Vulkan?» Und die NZZ fragte: «Darf man über Migranten in den Spitälern reden?» (Ihre Antwort: Ja.)
In Kosovo sind nur 11 Prozent geimpft
Es sei richtig, dass dies nun vermehrt thematisiert werde, findet auch Përparim Avdili. Der Stadtzürcher FDP-Gemeinderat ist in einem albanischen Dorf in Mazedonien geboren und kam als Kleinkind in die Schweiz. Er sagt: «In der albanischen Community gab es schon früh eine verbreitete Skepsis gegenüber Corona-Massnahmen. Nun ist auch der Widerstand gegen die Impfung erschreckend gross.»
«Die Impfkampagne der Behörden kommt in der Community zu wenig an.»
Die meisten Reiserückkehrer, die nun in Schweizer Spitälern liegen, hatten keinen Impfschutz. Avdili sieht dafür zwei Gründe. Erstens kursierten in der Gemeinde zahlreiche Falschnachrichten und Verschwörungstheorien über die Impfung. So gehe etwa unter jungen Frauen die Angst um, dass die Impfung unfruchtbar mache.
Zweitens orientierten sich viele albanischstämmige Menschen in der Schweiz immer noch an den Verhältnissen in ihren alten Heimatländern: «Und dort ist der Umgang mit Corona grob fahrlässig.»
Avdili verweist auf die vielen Hochzeiten, die in diesem Sommer wieder stattfanden: «Das sind Grossanlässe mit 200 bis 300 Gästen, an denen keinerlei Schutzmassnahmen gelten, vom Nachweis eines Covid-Zertifikats ganz zu schweigen.»
Dass das Virus in Kosovo oder Nordmazedonien noch einiges stärker im Umlauf ist als in der Schweiz, bestätigt ein Blick in die Statistik. In Kosovo kommen auf eine Million Einwohner derzeit 990 Neuinfektionen, in Nordmazedonien sind es 463 – in der Schweiz dagegen 298, wie die Taskforce in ihrem Bericht schreibt.
Zudem ist die Impfquote in einigen Staaten des Balkans ausgesprochen tief. Während in Serbien und Kroatien immerhin rund 40 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft sind, liegt die Impfquote in Nordmazedonien und Albanien nur knapp über 20 Prozent. In Kosovo sind sogar nur 11 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.
«Verantwortung übernehmen»
FDP-Politiker Avdili macht auch die Kommunikation der Schweizer Gesundheitsbehörden für die tiefe Impfbereitschaft in der Balkan-Diaspora verantwortlich. «Die Impfkampagne kommt in der Community zu wenig an.» Das habe mit sprachlichen Barrieren zu tun, aber auch mit einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber dem Staat, das viele albanischstämmige Menschen aus ihrer alten Heimat mitgebracht hätten. «Um diese Leute zu erreichen, muss man sie direkt und persönlich ansprechen.»

Avdili denkt dabei an Prominente aus der Community – Vertreter aus Sport, Kultur oder Medizin, die für eine Impfung werben. «Man muss besonders die Jüngeren erreichen. Sie können dann wiederum die Älteren in der Verwandtschaft überzeugen.» Letztlich komme es aber auf den Willen der vielen Ungeimpften an, die es leider immer noch gebe: «Sie müssen jetzt Verantwortung übernehmen.»
Auch der St. Galler SP-Politiker Arber Bullakaj kritisiert die bisherigen Impfkampagnen. Diese seien zu wenig nahe dran an den Menschen, besonders an den vielen Bauarbeitern, Pflegeberufsleuten oder Reinigungskräften, die nicht die Mittel oder die Zeit hätten, um sich die nötigen Informationen zu besorgen. Gegenüber dem «St. Galler Tagblatt» sagte Bullakaj aber auch: «Einfach die erkrankten Balkanreisenden an den Pranger zu stellen, ist billig und kurzsichtig.»
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