«Im Kosovo schweigen sie, weil sie Angst haben»
Dick Marty erklärt in einem Interview, dass die Geheimdienste der grossen Staaten von den dunklen Machenschaften wussten und sie trotzdem für sich behielten. Und dass er mehr weiss, als in seinem Bericht steht.

«Jeder im Kosovo weiss, was passiert ist, aber sie schweigen, weil sie Angst haben», sagt der Europaratsbeauftragte in einem Interview mit der Westschweizer Zeitung «Le Temps». Der Tessiner erinnert daran, dass zahlreiche Zeugen, die vor dem internationalen Strafgerichtstribunal in Den Haag gegen mutmassliche Kriegsverbrecher hätten aussagen sollen, ermordet wurden. «Beim Haradinaj-Prozess (der frühere UCK-Kommandant und kosovarische Regierungschef war 2005 wegen Kriegsverbrechen angeklagt, später aber freigesprochen worden, Anm. der Redaktion) wurde alle liquidiert», so Marty. «Können Menschen unter diesen Bedingungen sprechen?», fragt der Schweizer. Der Tessiner spricht auch von einer «Mauer des Schweigens».
Der Europaratsbeauftragte macht nicht nur klar, dass man von diesen dunklen Machenschaften im Kosovo wusste. Die Fakten seien auch den meisten Staaten weitgehendst bekannt gewesen. «Diverse Berichte von Geheimdiensten, darunter Deutschlands, Grossbritanniens, Italiens und Griechenlands sowie des FBI über kriminelle Aktivitäten der Gruppe um Hashim Thaci wurden verschiedenen Aussenministerien geschickt.» Diese hätten sich aber für politische Opportunität entschieden. Will heissen, Aktivitäten in diesem Fall hätten allenfalls die politische Stabilität des Landes gefährdet.
Mit drei Teilzeitstellen gearbeitet
Allgemein war der Inhalt von Martys Bericht so kommentiert worden, dass dieser bereits Bekanntes beinhalte. Dazu der Tessiner: «Neu ist heute, dass jemand sie (die Geheimdienstberichte respektive deren Inhalte, Anm. der Redaktion) öffentlich gemacht hat.» Zum heutigen Regierungschef Kosovos, Hashim Thaci sagt Marty: «Ich glaube zu wissen, dass Herr Thaci in der Schweiz während einer bestimmten Periode ‹Persona non grata› war.» Bern hätte gewusst, dass es Probleme gab.
Marty liefert keine Beweise. Dafür sei sein Team mit drei Teilzeitstellen viel zu schwach besetzt gewesen. Aber: «Dieser Bericht enthält eine Serie von Belegen, welche der Justiz ermöglichen sollte, eine gründliche und unabhängige Untersuchung einzuleiten.» Der Europaratsbeauftragte spricht dabei von einer Justizbehörde, die «politische Unterstützung» geniesst.
Der Medicus-Fall hindert Marty am Reden
Obwohl der Schweizer mehr zum mutmasslichen Organhandel weiss, will er dies nicht preisgeben. Dies aus Respekt vor den laufenden Ermittlungen im sogenannten Medicus-Fall. In diesem ermitteln die kosovarischen Behörden zusammen mit der Justizbehörde der EU im Kosovo, der Eulex. In diesem Fall kam es bereits zu Verhaftungen sowie Anhörungen. Es besteht der Verdacht, dass junge Leute aus verschiedenen Ländern mit versprochenen Geldzahlungen nach Pristina in diese Klinik gelockt wurden und sich so eine Niere entnehmen liessen.
Marty versteht seine Arbeit als Kampf für die Wahrheit, den er selber nicht gesucht habe. «Als ich vom Europarat damit beauftragt wurde, diesen Bericht zu erstellen, war ich nicht gerade begeistert.» Er habe es aber so gewissenhaft wie möglich gemacht. Jetzt sei es an den Behörden, über die Fortführung dieser Arbeit zu entscheiden. Marty zeigt sich überzeugt, dass das Land für eine bessere Zukunftsperspektive die Vergangenheit aufarbeiten müsse.
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