
2005 bestritt Novak Djokovic beim Australian Open zum einzigen Mal in seiner Karriere die Qualifikation, und das mit Erfolg: Er überstand die drei Qualifikationsrunden und fand damit zum ersten Mal Aufnahme im Hauptfeld des Turniers, das er in den Folgejahren mit insgesamt neun Titeln wie noch kein Spieler vor ihm prägen sollte.
Nun, 17 Jahre später, holt ihn exakt während der Woche des diesjährigen Qualifikationsturniers die Vergangenheit ein. Novak muss ungewollt, aber nicht unverschuldet, zum zweiten Mal in seiner Karriere zu einer etwas anderen «Qualifikation» in Melbourne antreten, in der er seit dem Visa-Annullations-Entscheid des australischen Einwanderungsministers mit dem Rücken zur Wand steht.
Ich begegnete Novak zum ersten Mal im Februar 2004, als er mir als Erstrunden-Gegner bei einem Challenger Turnier in Belgrad zugelost wurde. Ich reiste damals aus Bahrein an, wo ich in den zwei Wochen zuvor neun Einzel und acht Doppel gespielt hatte. Dementsprechend froh war ich, dass unserer Partie erst für Mittwoch angesetzt wurde und ich mich dadurch noch zwei Tage vom Turnier-Physiotherapeuten behandeln lassen konnte.
Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um Djokovics damaligen Physiotherapeuten und Konditionstrainer handelte. Als dieser ein paar Jahre später sein Team austauschte, gelang es meinem Coach, diesen für unser Team zu engagieren. Durch diesen Link und den Umstand, dass ich meinen Coach und den Physio während fünf Jahren mit dem Serben Viktor Troicki, einem engen Freund Djokovics, teilte, hatte ich mit Novak automatisch mehr Berührungspunkte als es ohne diese Serbien-Connections der Fall gewesen wäre.
Ich lernte Novak in dieser Zeit als guten und umgänglichen Typen kennen, der nicht nur auf sich selbst fokussiert war, sondern sich auch für seine serbischen Freunde auf der Tour einsetzte, die nicht seinen Status besassen. Dies ist der Grund, warum ich Novak mag und ihn schon oft bei Diskussionen mit Freunden und Kollegen verteidigte, wenn er aus meiner Sicht zu Unrecht unter die Räder kam. Mein genereller Eindruck ist nämlich, dass Novak tun und sagen kann, was er will - für die meisten Schweizer Tennisfans macht er immer alles falsch.
«Warum zum Teufel hängt Novak seine Ausnahmegenehmigung auf Social Media an die grosse Glocke? Ich bin überzeugt, dass er ohne grosses Aufsehen hätte einreisen können, wäre diese Aktion nicht gewesen.»
Dennoch lässt sich nicht wegdiskutieren, dass ihm regelmässig haarsträubende Fehler unterlaufen. «Guru», «Adria-Tour» oder «Wasserheilung» sind Dinge, mit denen er sich jeweils ins eigene Bein schiesst. Dass dies einem solchen Weltstar immer wieder passiert, der die besten Berater um sich scharen könnte, ist für mich völlig unverständlich. Entweder verlässt er sich da auf die falschen Leute oder ist selbst komplett beratungsresistent.
Wie in aller Welt wäre sonst die äusserst peinliche Pressekonferenz seiner Familie in Belgrad zu erklären und warum zum Teufel hängte Novak seine Ausnahmegenehmigung vor seinem Abflug nach Melbourne auf Social Media an die grosse Glocke? Ich bin überzeugt, dass er ohne grosses Aufsehen hätte einreisen können, wäre diese Aktion nicht gewesen.
Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich würde eine Extrawurst für Djokovic in Australien nicht gutheissen - auch dann nicht, wenn man diese weit weniger wahrgenommen hätte als das aktuell der Fall ist. Denn den Topspielern im Tennis-Zirkus werden auch so schon genügend Vorteile eingeräumt.
Dabei ist gerade das Australian Open – zusammen mit den anderen Major-Events – ein Turnier, dass sich in dieser Kategorie besonders von den meisten ATP-Anlässen abhebt. So eben, dass es mich nicht sonderlich erstaunt, dass Novak als Australian-Open-Rekordsieger auf dem Weg zur alleinigen Grand-Slam-Bestmarke nun sogar gegenüber all den anderen Top-Spielern krass bevorteilt würde, ginge es nur nach dem Wunsch der Turnier-Verantwortlichen. Selbst Stefanos Tsitsipas, der als Nummer 4 der Welt üblicherweise selbst zur Kategorie der Spieler mit Privilegien gehört, hat sich kürzlich in diese Richtung geäussert.
Da ich selbst nie zu den Stars unseres Sports gehörte, musste ich nur schmunzeln. Das, nachdem ich mich in meiner Karriere oft über die Ungleichbehandlung von Stars und Fussvolk wunderte. Und eben: Gerade meine Zeit in Melbourne liefert da interessante Beispiele.
Wie bei allen anderen Majors, so wird den Spielern auch Down Under das Hotel nicht bezahlt. Stattdessen erhalten die Profis für die Zeit rund um ihre Matches einen Tagessatz, das sogenannte «per diem» ausbezahlt. Dieses ist dazu da, die Hotelkosten zu decken. Nun war es aber bis vor zehn Jahren so, dass die Spieler der Qualifikation pro Nacht nur die Hälfte des «per diem» ausbezahlt erhielten. Fragte man beim Turnier nach den Gründen, dann erhielt man zur Antwort, dass Qualifikanten ja das Zimmer mit einem anderen Spieler teilen könnten.
«In Melbourne liess ich mich vor meinem ersten Spiel ab und zu von Severin Lüthi zum Mittagessen einladen. Bei ihm als Coach von Roger Federer war schon zwei Wochen vor Rogers erstem Spiel Geld auf dem Badge – bei mir noch nicht.»
Dazu kam, dass die Spieler des Qualifikationsturniers in den Tagen vor ihrem ersten Match ihr Essen auf der Anlage selber bezahlen mussten, da erst ab dem ersten Matchtag ein Guthaben auf die Akkreditierungs-Badges geladen wurde. Bei den Hauptfeld-Spielern jedoch war dieses Guthaben bereits eine Woche vor ihrem ersten Spiel vorhanden - und bei den gesetzten Hauptfeld-Spielern und deren Coaches gar zwei Wochen zuvor. So kam es, dass ich vor meinem ersten Spiel ab und zu von Severin Lüthi zum Mittagessen «eingeladen» wurde, da sich bei ihm als Roger Federers Coach bereits zwei Wochen vor Rogers erstem Spiel Geld auf dem Badge befand. Und auch hier war es überdies so, dass die Spieler des Qualifikationsturniers lediglich die Hälfte des Essensguthabens der Hauptfeld-Spieler erhielten, frei nach dem Motto: «Iss die Hälfte».
Doch damit nicht genug: Die Qualifikanten durften jeweils einen Gast zu ihren Partien mitbringen. Bei den Hauptfeldspielern waren es zwei Gäste und bei den Stars gab es fast keine Grenzen. Wollte ich als Qualifikationsspieler also den Coach und den Physio mitnehmen, dann musste ich einen Spieler in der Qualifikation suchen, der ohne Betreuer reiste und mir seine einzige Akkreditierung «schenkte», damit ich meine zwei Betreuer mitnehmen konnte.
Auch beim Training gelten nicht gleich lange Spiesse: Während die Stars bereits im Vorfeld, bevor die Platzreservationen für die «normalen» Spieler geöffnet werden, Ihre favorisierten Trainingszeiten eintragen können, haben sie zudem auch noch das Recht, zu zweit zu trainieren. Hauptfeldspieler ohne Star-Status müssen den Platz bei grossem Andrang jeweils zu viert teilen und ihr Training folglich an die anderen Spieler anpassen, die auf demselben Platz trainieren. Zudem muss man sich beim Punkte spielen immer abwechseln, kommt also nur auf die halbe Spielzeit.
Wenigstens haben in Melbourne alle Spieler das Anrecht auf einen Abholservice vom und zum Hotel, was nicht bei allen Turnieren der Fall ist. Allerdings erhalten die Stars in Melbourne auf Wunsch die Möglichkeit, mit dem eigenen Auto im Stadion zu parken, was den Vorteil bringt, jederzeit losfahren zu können, währenddessen alle anderen Spieler oft 30 oder mehr Minuten in der Schlange warten, bis ein Auto für sie bereit steht.
Man kann natürlich argumentieren, dass sich die Zugpferde des Tennis die eine oder andere Extrawurst aufgrund ihrer Strahlkraft verdienen. Aber es gibt Grenzen. Es scheint so, als ob sie Novak Djokovic und dem Australian Open gerade aufgezeigt werden.
Der Baselbieter Marco Chiudinelli (40), in der Szene MC genannt, hat 2017 seine Tenniskarriere beendet und berichtet regelmässig für die BaZ.
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MCs Hammer – Ich mag Djokovic – aber er darf keine weitere Extrawurst erhalten
Die Posse rund um das Australian Open zeigt abermals, dass Novak Djokovic schlecht beraten wird. Das Turnier selbst ist aber auch ein Sonderfall, wenn es um die Ungleichbehandlung von Superstars und Fussvolk geht.