2022 in der Karikatur«Ich gebe gern kindliche Antworten auf ernste Probleme»
Karikaturist Ruedi Widmer blickt im Interview zurück auf ein Jahr, in dem ihm der Krieg die Lust am Zeichnen getrübt hat.

Ruedi Widmer, war 2022 mit all seinen Krisen ein schlechtes Jahr für Karikaturen?
Wenn ich mir die Ausstellung «Gezeichnet 2022» anschaue, die derzeit gerade im Museum für Kommunikation in Bern stattfindet und die von 50 Schweizer Presse-Karikaturistinnen und -Karikaturisten die besten fünf Arbeiten des Jahres zeigt, dann kann man nicht von einer Krise reden…
Aber für Sie persönlich?
Dominant ist natürlich der Ukraine-Krieg, der mir – auch wenn das natürlich ein kleines Leiden ist – dieses Jahr die Lust am Zeichnen etwas getrübt hat. Für einen international zeichnenden Cartoonisten wie Patrick Chappatte ist das ein ergiebiges Thema. Aber für meine Art, zu arbeiten, ist es eher schwierig.
Warum?
Das Thema ist dunkel und schwer, und im Gegensatz zur Corona-Krise gibt es nichts Lustiges daran. Corona konnte ich immer vom eigenen Erleben aus betrachten, diesen Krieg nicht. Man kann sagen, zum Glück gab es die Rastalocken-Geschichte, Frau Truss, Herr Musk und die angeleimten Demonstranten. Und das Geknorze mit der Fussball-WM. Mit dem Satireportal Petarde hat zudem die Schweizer Szene gesamthaft neuen Schub erhalten.
«Lachen sollte man auch können, nicht nur nachdenken.»
Es heisst, eine gelungene Karikatur bringe einen zum Nachdenken. Wann ist für Sie eine Zeichnung gelungen?
Wenn sie überraschende Bezüge herstellt, sich Themen vermischen oder etwas thematisiert wird, bei dem die Leute denken «genau, das finde ich auch so blöd». Ich selbst gebe mit meinen Zeichnungen gerne kindliche Antworten auf ernste Probleme, oder sogar anarchische. Lachen sollte man schon auch können, nicht nur nachdenken.
Auf welche Karikatur haben Sie dieses Jahr am meisten positive Reaktionen erhalten?
Eine, die in der «Wochenzeitung» erschien, mit einem Laublaser, der den Laubbläser ablösen könnte.

Sind Laubbläser ein sicherer Wert, um Lacher zu erzielen?
Eigentlich ist es unter Cartoonisten schon lange verpönt, Laubbläserwitze zu machen. Aber Laublaserwitze sind eine neue Kategorie.
Auf welche Karikatur gab es am meisten negative Reaktionen? Wie erklären Sie sich das?
Die negativen Stimmen waren nicht auf eine einzelne Zeichnung fokussiert, aber beim krähenden Hahn, der Bundesrat werden möchte, da gab es erzürnte Reaktionen. Jemand meinte zum Beispiel, ich würde Tiere und Männer gleichstellen. Eine andere Form von Gleichstellung.

Die Karikatur zielt natürlich auf Daniel Jositsch, der unbedingt Bundesrat werden wollte. Tiervergleiche sind ja in der Tat heikel. Würden Sie auch über eine Frau eine solche Karikatur machen?
Bei Liz Truss wohl schon.
Zu reden gab auch Ihr Putin, der aus dem gaserhitzten Duschwasser aufsteigt und einen umarmt.
Die gefiel nicht allen Männern…

Reagieren Männer empfindlicher?
Nicht unbedingt. Aber diese Zeichnung ist ja schon etwas eklig. Und das ist ja die Essenz des Witzes.
Gibt es eine Karikatur von Ihnen, bei der Sie im Nachhinein sagen müssen, da haben Sie die Grenze zur Boshaftigkeit überschritten?
Ich glaube nicht. Ich gehe nie auf Schwächere los. Allerdings gibt es gesellschaftliche Bestrebungen, Dummheit zu einer Behinderung zu erklären. Das würde die Satire ins Elend stürzen.
Auffällig häufig bekommt in Ihren Karikaturen die SVP ihr Fett weg. Warum?
Die SVP provoziert und fordert das heraus – ein Teil ihres politischen Kalküls, ihr Erfolgsrezept. Eigentlich hat man sich als Zeichner schon überrumpeln lassen, wenn man darauf hereinfällt und Themen der SVP aufnimmt. Sehr erfolgreich war die Pro-Russland-Martullo-Blocher-Babuschka mit ihren sieben Figuren und Denkschritten.

Andere Parteien geben da einfach weniger her?
Auch die Grünen, GLP, FDP und Mitte bekamen ihr Fett weg. Und die SP mit ihrem Frauenticket enthält, so sehr ich es privat überzeugend finde, schon vom Wort her eine gewisse Komik.
Was ist daran komisch?
Stellen Sie sich vor: Die Billettkontrolle kommt, und ich als Mann habe aus Versehen ein Frauenticket gelöst.
Karikatur lebt von Klischees, Zuspitzung und Überzeichnung. Reagieren Betroffene in woken Zeiten generell empfindlicher als früher?
Falls Sie mit Betroffenen die im Cartoon Abgebildeten meinen: Diese fühlen sich ja meist geehrt, selbst wenn die Zeichnung negativ sein sollte. Schwieriger wird es mit den ganzen ideologisierten Sachen, Woke-Themen, religiösen Themen, Geschlechterthemen. Das ist auf den sozialen Medien stets shitstormgefährdet. Gerade woke ist schwierig, es gibt auf beiden Seiten des politischen Spektrums Humorlosigkeit.

Die Karikatur war und ist ein typisches Genre für bedrucktes Papier, also für Zeitungen und Zeitschriften. Was verändert sich für Sie durch die Digitalisierung?
Weniger als man denkt. Klar, in der Zeitung ist eine Zeichnung sehr gross, auf dem Mobile sehr klein, deshalb muss sie in beiden Fällen funktionieren. Sicher ist hier die beste Lösung noch nicht gefunden. Sachen in Richtung Animationen wären vielleicht möglich.
Wir sind bei der künstlichen Intelligenz erst in den Anfängen, und schon die sind erschütternd.
Wie viel Wirkung erzielen Sie mit Ihren Karikaturen auf sozialen Medien? Mehr als in den traditionellen?
Die Wirkung ist auf sozialen Medien zwar unmittelbar, aber durch die undurchschaubaren Algorithmen eben auch zufällig. Ausserdem erreiche ich da die deutsche Leserschaft. Auf Facebook oder Instagram gibts manchmal auch einen Hit, der sich weit verbreitet. Die traditionellen Medien sind aber für mein Publikum eben doch noch wichtiger – ich habe ein sehr informiertes Lesepublikum.
Sie experimentieren mit künstlicher Intelligenz, kurz KI. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich habe diesen Sommer die KI-Plattform Midjourney ausprobiert. Die KI-Programme sind bemerkenswert gut und deshalb eine grosse Bedrohung für den ganzen Markt der Illustratorinnen und Illustratoren. Nur durch die verbale Eingabe einer rudimentären Bildbeschreibung stellt die Intelligenz selber dieses Bild her, indem sie auf sämtliche Bilder des Internets zurückgreift.

Hat künstliche Intelligenz Potenzial für die Karikatur?
Wir sind hier erst in den Anfängen, und schon die sind erschütternd. Und je mehr da mitmachen, desto besser wird die KI. Die Karikatur, vor allem mit Lokalbezug, wird zwar vorläufig nicht betroffen sein. Wer aber Elon Musk oder Lionel Messi karikaturistisch porträtieren möchte, kann das mit solchen Programmen in Sekundenschnelle auf dem eigenen Smartphone tun. Das ist mindestens kulturell so einschneidend wie die Erfindung der Fotografie.
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