
Es poltert plötzlich heftig an meiner Wohnungstür, ich werde aus dem Schlaf gerissen. Jemand schreit: «Aufmachen, Polizei!» Vor meiner Tür drängen sich mehrere Polizisten in Kampfmontur. Einer, offenbar der Chef, fragt, ob sie in die Wohnung dürfen. Das will ich eigentlich nicht. Es ist schon unangenehm genug, im Pyjama vor mehreren Männern zu stehen. Also frage ich nach dem Grund.
Ein Räuber sei in unser Haus geflohen. Danach will er jedoch wissen, wo meine Kolleginnen sind. «Deine Tänzer-Kolleginnen», wiederholt er. Mir wird klar: Er vermutet ein Nest illegaler Erotik-Tänzerinnen oder Prostituierter in meiner Wohnung. Von dieser Idee kann ich ihn nicht abbringen – nicht einmal, indem ich in akzentfreiem Baseldeutsch auf seine Fragen antworte. Mein «exotisches» Aussehen – mein Vater stammt aus der Karibik – ist wohl ein zu eindeutiges Indiz. Der Spuk endet sofort, als ich ihm, wie verlangt, meinen Schweizer Pass zeige und ihm zusätzlich ein Visitenkärtchen überreiche, das mich als Telebasel-Redaktorin zu erkennen gibt.
Die beschriebene Episode ereignete sich vor rund 20 Jahren. Ich erzähle die Anekdote, um zu zeigen, dass in der Schweiz vieles auch richtig läuft. In den USA endete eine ähnliche Geschichte vor zwei Monaten für die afroamerikanische Notfallsanitäterin Breonna Taylor tödlich. Ich musste damals hingegen keine Angst vor den Polizisten haben. Allerdings zeigt das Erlebnis auch die tief verwurzelten Vorurteile, durch die Ausländer ständig ausgebremst werden.
Offenem Rassismus begegnete ich in Basel lange sehr wenig. Doch seit der Flüchtlingswelle hat sich die Wetterlage etwas verändert.
Als einzelne Anekdote mag die Tänzerinnen-Geschichte amüsant sein. Ich grinse jetzt noch innerlich, wenn ich an den leicht beschämten Polizisten denke, als er seinen Fehler endlich einsah. Und ich beisse mir noch heute in den Hintern, dass ich nicht eine Schippe draufgesetzt und ihm den Eintrag über meinen Urgrossvater im «Historischen Lexikon der Schweiz» oder meinen Schweizer Stammbaum mütterlicherseits gezeigt habe, der bis ins 14. Jahrhundert zurückgeht.
Doch wenn so etwas häufig passiert, ist es nicht mehr lustig. Wie oft wurden Sie schon von der Polizei angehalten und kontrolliert, ohne etwas verbrochen zu haben? Ich war soeben auf die Welt gekommen, da wurde mein Vater auf dem Nachhauseweg vom Spital mit auf den Posten genommen, weil er am Tellplatz geistesabwesend in ein Schaufenster schaute. Als er ein andermal ins Geschäft zurückrannte, weil er sein Portemonnaie vergessen hatte und den Zug nicht verpassen wollte, war das für die vorbeifahrende Polizei auch verdächtig. Er wurde sofort kontrolliert. Am Basler Bahnhof, er sass mit einer Einkaufstasche auf einer Bank und wartete auf seinen Zug, wurde er von mehreren Polizisten in Zivil angegangen. Sie dachten, er sei ein Mittelsmann für illegale Einwanderer. Die Liste der weiteren Kontrollen würde diesen Rahmen sprengen. Es ist sehr unangenehm, unter Generalverdacht zu stehen. Eine Wohnung nicht zu erhalten, weil einem der Vermieter grundlos nicht traut. In Jobbewerbungsverfahren benachteiligt zu sein, weil man generell für dümmer, weniger gebildet oder für unzuverlässig gehalten wird. Für viele Ausländer ist das Alltag. Zudem entstehen einem dadurch reale Nachteile.
Eine Episode, die ich nie vergessen werde: Als ich noch ein Kind war, warfen zwei ältere, uns völlig unbekannte Damen meiner Mutter vor, sich mit einem Affen gepaart zu haben. Offenem Rassismus begegnete ich in Basel lange aber sehr wenig. Seit der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 hat sich die Wetterlage etwas verändert. In Kommentarspalten und sozialen Medien freuen sich Menschen über ertrunkene Flüchtlinge, betiteln sie ungeniert und öffentlich als Tiere, Ungeziefer oder Parasiten. Plötzlich höre ich das Wort Neger auch im eigenen Umfeld – verwendet von Menschen, die genau wissen, dass dieses Wort negativ behaftet ist. Dass sie damit Menschen verletzen können, ist ihnen nicht nur egal– es ist das Ziel. Was für Menschen tun so etwas?
Das Wort Mohrenkopf gehört für mich übrigens nicht in dieselbe Kategorie. Ich würde behaupten, dass 99,9 Prozent dieses Wort ohne böse Hintergedanken verwenden und deshalb nicht gezwungenermassen rassistisch sind. Doch auch bei der eigentlich harmlosen Debatte, ob der Begriff Mohrenkopf noch zeitgemäss ist, konnten Neonazis ihr braunes Gedankengut verbreiten.
Die «Black Lives Matter»-Demonstrationen setzen einen Gegenpunkt zu Rassismus und erklären ihn wieder zu einem sozialen Gift.
Bisher hatte ich Mitleid: Alle Rassisten, denen ich persönlich begegnet bin, sind zutiefst unzufriedene Menschen. Ihre Fremdenfeindlichkeit ist ein weiterer misslungener Versuch, sich auf Kosten anderer besser zu fühlen. Doch mittlerweile beunruhigt mich die Entwicklung. Seit einigen Jahren schlüpfen sie wieder aus allen Löchern, versprühen ihr menschenverachtendes und gefährliches Gift, das früher die als «Tschingge» und «Jugos» beschimpften Italiener und Ex-Jugoslawen traf.
Dass sich nun so viele Menschen, egal welcher Hautfarbe und Herkunft, den «Black Lives Matter»-Demonstrationen hier in der Schweiz anschliessen, erleichtert mich. Zwar haben wir hier definitiv nicht die gleichen Probleme mit Polizeigewalt wie in den USA, doch die Kundgebungen setzen einen Gegenpunkt. Sie erklären Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder zu einem sozialen Gift.
Deshalb sage ich allen, die Rassismus im Alltag oder an Demonstrationen mit Zivilcourage entgegentreten, Danke. Eine Bitte hätte ich jedoch: Es muss ohne Gewalt und Vandalismus geschehen. Nur so kann uns geholfen werden.
Dina Sambar ist Redaktorin und stellvertretende Leiterin des regionalen Ressorts Kultur und Gesellschaft.
Mehr InfosFehler gefunden?Jetzt melden.
Leiter zur Rassismus-Debatte – Ich, eine Erotik-Tänzerin
BaZ-Redaktorin Dina Sambar lebt seit ihrer Geburt in Basel. Da sie eine dunkle Hautfarbe hat, wurde sie von der Polizei schon als illegale Stripperin und von älteren Damen als Kind eines Affen abgestempelt. Trotzdem fühlt sie sich sehr wohl in ihrer Heimat.