Interview mit Thierry Burkart«Ich bin nicht einfach der notorische Rechtsausleger»
Die FDP hat ihn unbestritten zum neuen Präsidenten gewählt. Nun will Thierry Burkart (46) dem Freisinn wieder eine klare liberale Kante verpassen – und ein einheitlicheres Auftreten.

Herr Burkart, was können Sie besonders gut?
Aha, so ein Interview ist das also.
Keine Sorge, wir werden schon noch politisch.
Kein Problem! Ich antworte auf alles. Also: Ich bin recht strukturiert, kann gut analysieren, strategisch denken, und man sagt, ich halte einigermassen erträgliche Reden. Das ist als Politiker kein Nachteil.
Und was können Sie nicht so gut?
Vieles! Ich will oft etwas schnell ans Ziel kommen. Dabei fehlt es mir manchmal an der Sensibilität, alle Leute abzuholen und mitzunehmen. Ich bin aber lernfähig!
Die Leute mitzunehmen, wäre als Parteipräsident aber eine recht zentrale Eigenschaft.
Ja, das ist mir bewusst. Darum kandidiere ich im Team mit diversen Vizepräsidentinnen und -präsidenten. Das ist nicht einfach more of Thierry. Wir haben verschiedene Stärken und Schwächen, wir ergänzen uns gut.
Ihre Teamkandidatur ist die freisinnige Alternative zum Co-Präsidium. Ist Verantwortung teilbar?
Nein, die kann man nicht teilen. Am Schluss habe ich die Verantwortung – vor allem, wenn es nicht gut läuft. In unserem Modell geht es mehr um die gegenseitige Unterstützung und Beratung. Es soll ähnlich wie eine Geschäftsleitung funktionieren, wo ich als Präsident der Primus inter Pares bin.
Zum neuen Präsidenten gewählt werden Sie am Samstag. Was haben Sie mit dem Freisinn vor?
Die FDP soll eine Volkspartei mit klarer liberaler Kante sein. Man muss unser liberales Fundament wieder besser spüren. Wir stehen für die grossen Werte, für Freiheit, Verantwortung, Gemeinsinn und Fortschritt, und das muss wieder besser wahrnehmbar werden. Unser Land steckt im Reformstau, wirtschaftspolitisch, bei den Alterswerken. Als FDP müssen wir jene liberale bürgerliche Kraft sein, die für den Aufbruch steht und diese Reformen anpackt. Mit Mut und ohne Tabu.
Ob das gelingt, wird man schon bald sehen – an den Wahlen 2023.
Das ist ziemlich wenig Zeit. Aber ich habe noch einige organisatorische Anpassungen vor, um unsere Schlagkraft zu erhöhen. Doch das Ziel ist klar: Wir müssen 2023 zulegen.
«Halt, halt. Innerhalb des Freisinns wird es weiterhin unterschiedliche Meinungen geben – das wollen wir leben!»
Was wollen Sie organisatorisch anpassen?
Ich habe drei strukturelle Ziele: Mehr Leute sollen in die strategische Führungsarbeit der Partei eingebunden werden. Unsere Aushängeschilder sollen in der Öffentlichkeit sichtbarer sein. Zudem strebe ich eine engere Koordination an zwischen Parteivorstand und Fraktion. Wenn die Fraktion besser in die Parteiführung eingebunden ist, wenn die Leute dort mehr strategische Verantwortung übernehmen, erreichen wir eine grössere Einheitlichkeit im Auftritt.
Sie wollen damit Alleingänge verhindern, wie Sie sie persönlich im Europathema und beim Klimakurs gefahren sind, als Sie sich gegen die Parteilinie und Petra Gössi gestellt haben?
Halt, halt. Innerhalb des Freisinns wird es weiterhin unterschiedliche Meinungen geben – das wollen wir leben! Beim Klima habe ich mich übrigens sehr zurückgehalten. Als ich in einem Gastbeitrag das Rahmenabkommen kritisiert habe, stützte ich mich auf einen Entscheid der Delegiertenversammlung von Airolo 2018. Solche Widersprüche zwischen Fraktion und Partei dürfen in Zukunft nicht mehr passieren.
Wenn wir schon beim Thema sind: Wie soll es weitergehen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU?
Wir haben ein stabiles Verhältnis mit der EU – dank den bilateralen Verträgen. Die habe ich immer durch alle Böden verteidigt. Wir müssen unsere Verträge dort dynamisieren, wo es möglich ist. Beispielsweise bei den technischen Handelshemmnissen. Bei der Personenfreizügigkeit ist eine solche Dynamisierung innenpolitisch zu umstritten und fände keine Mehrheit.
Was wird die FDP unter Ihrem Präsidium in Sachen Europa unternehmen?
Wir haben diese Woche im Parlament die Kohäsionsmilliarde freigegeben. Nun ist der Bundesrat am Zug. Aussenpolitik ist und bleibt primär die Domäne der Regierung. Unser Ziel ist klar: Wir brauchen ein stabiles Verhältnis mit der EU. Wie brauchen aber keine grossen theoretischen Visionen, sondern pragmatische Lösungen, die von der Bevölkerung getragen werden.
Lassen Sie uns über das zweite Thema reden, bei dem Sie sich offensiv gegen die Partei gestellt haben. Wie fanden Sie den Prozess, wie der Freisinn eine neue Klimastrategie erarbeitet hat?
Ich lasse mich von Ihnen nicht aufs Glatteis führen und fange jetzt sicher nicht damit an, mit der Vergangenheit abzurechnen. Ich habe mich nie dagegen gestemmt, Klimapolitik zu machen. Das macht die FDP schon immer – auch wenn manchmal so getan wird, als hätten wir den Umweltschutz erst jetzt entdeckt. Der ersten Version des CO₂-Gesetzes habe ich übrigens zugestimmt.
Das war die völlig verwässerte Version.
Das sagen Sie. Der Punkt ist: Was danach mit dem Gesetz gemacht wurde, war vielerorts zu wenig liberal. Darum wurde es auch von unserer Wählerschaft abgelehnt. Jetzt haben wir die Chance, ein neues CO₂-Gesetz zu entwerfen. Wir sind gewillt, unseren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Die Klimawende von Petra Gössi war auch der Versuch, den freisinnigen Aderlass Richtung Grünliberale zu stoppen.
Das unterstütze ich. Als Volkspartei haben wir den Anspruch, auf alle aktuellen und drängenden Themen Lösungen zu anzubieten. Allerdings dürfen wir dabei unser liberales Fundament nicht verlassen. Die Grünliberalen sind eine Abspaltung der Grünen Partei und politisieren zunehmend linker. Sie machen eine Umweltpolitik, die gar nichts mehr mit Liberalismus zu tun hat.
Wo sehen Sie denn das grösste Potenzial für die FDP?
Wir sind eine klar liberal-bürgerliche reformfreudige Partei. Unser Angebot ist sowohl für echt liberale GLP-Wähler attraktiv als auch für moderate SVPler, die grundsätzlich unzufrieden mit ihrer Partei sind.
Petra Gössi hat die Flanke gegen links abgesichert, Sie werden nun dasselbe nach rechts tun?
Wir müssen nicht schauen, was andere Parteien machen, das interessiert mich auch gar nicht. Wir müssen unseren Liberalismus mit Inhalt füllen, dann sind wir automatisch attraktiv.
Werden wir unter Ihnen als Präsident eine grosse Stadtoffensive der FDP erleben?
Wir sind die einzige bürgerliche Partei, die gleichermassen auf dem Land und in der Stadt präsent ist. Wir haben ein Angebot für beide. Von der Reduit-Strategie der SVP halte ich nichts.
Ist das Städtebashing der SVP eine Chance?
Davon bin ich überzeugt! Am Schluss sind wir die letzte bürgerliche Partei, die jene Menschen in der Stadt erreicht, die nicht in einem staatlich verordneten Umerziehungsbiotop leben möchten, die auch mal Zucker essen und nicht glauben, dass man mit dem Lastenvelo sämtliche Mobilitätsprobleme der Erde lösen kann.
Was haben die Bürgerlichen nur gegen Lastenvelos?
Gar nichts. Das ist eine gute Sache! Wir glauben einfach, dass man nicht nur auf einen Verkehrsträger fokussieren sollte. Dass es gerade in einer Stadt unterschiedliche Lebensformen gibt und man tolerant sein sollte, wenn jemand auch mal das Auto nimmt. Klassenkampf mit den Verkehrsmitteln zu führen, ist absurd!
Apropos Autos: Ist es nicht ein Problem, wenn Sie als Präsident der FDP weiterhin den Lastwagenverband Astag präsidieren?
Ich sehe den Interessenkonflikt nicht. Der Astag hat ja nicht zu allem eine Meinung, und dort, wo er eine hat, ist sie oft von selbst deckungsgleich mit jener der FDP, nämlich freiheitlich und fortschrittlich. Das Thema scheint mir stark aufgeblasen. Punkto Innovation und umweltfreundliche Technologien ist diese Branche übrigens beispielhaft.
«Wir kommen aus der Aufklärung – die hat uns gelehrt, dass es kein absolutes Wissen gibt. Demokratie braucht darum den Austausch, die harte, aber faire und offene Debatte.»
Ihre Verbindung zum Astag passt zum Image der FDP – gerade in den Städten. Dort wird der Freisinn als Partei der Parkplätze wahrgenommen.
Städtische Politik ist mehr als Verkehrspolitik. Es geht auch um Start-ups, den Wohnraum, die Freiheit vor staatlicher Bevormundung. Das wissen wir bei der FDP. Wir verstehen uns als konstruktive liberale Kraft – und zwar egal wo. Dort liegt im Moment nicht das grosse Problem.
Wo liegt es dann?
Ein Grossteil der aktuellen Politik in der Schweiz basiert auf Trennendem. Arm und Reich, Stadt und Land. Aber wir sind doch eine Willensnation. Wenn wir diesen Willen verlieren, gehen wir als Land unter. Die FDP hat hier eine zentrale, einigende Rolle: Wir schätzen die Vielfalt, arbeiten gern konstruktiv zusammen und leben den Gemeinsinn.
Braucht es mehr Anstand in der Schweizer Politik?
Es braucht Anstand und Respekt. Unser System baut auf der Annahme, dass das politische Gegenüber ebenfalls das Beste für das Land will. Wir kommen aus der Aufklärung – die hat uns gelehrt, dass es kein absolutes Wissen gibt. Demokratie braucht darum den Austausch, die harte, aber faire und offene Debatte.
Fühlen Sie sich selbst eigentlich respektvoll behandelt? Von den Medien beispielsweise?
Ich habe ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Was ein echtes Problem ist: Wie sich durch ständiges Abschreiben falsche Bilder festigen.
Wo hat die Öffentlichkeit ein falsches Bild von Ihnen?
Es gibt nicht einfach «falsch» und «richtig». In den vergangenen Wochen hat man fast ausschliesslich über meine divergierenden Haltungen bei Europa und dem CO₂-Gesetz geschrieben. Das ist nicht falsch – wird aber mir als Politiker auch nicht ganz gerecht. Da bin ich dann einfach der notorische Rechtsausleger. Wenn man seit über 25 Jahren Politik macht, dann gibt es mehr als zwei Positionsbezüge, an denen man einen messen sollte. Das Bild ist immer etwas komplexer.
Woran würden Sie denn lieber gemessen werden?
An den Wahlen 2023.
Und bis dahin?
Geben Sie mir noch einen Moment. Aber mein Anspruch ist es schon, dass wir als Partei noch besser wahrnehmbar werden.
Werden Sie als jener FDP-Präsident in die Geschichte eingehen, unter dem die Partei den zweiten Bundesratssitz verliert?
Nein. Das würde ein Linksrutsch im Bundesrat bedeuten. Und wer den verhindern will, der muss FDP wählen.
Sie können auch ziemlich gut framen.
Danke fürs Kompliment.
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