Hollande war ein Missverständnis
François Hollande, der scheidende französische Präsident hinterlässt ein zerrüttetes Land.

Mit dem Ende der Präsidentschaft von François Hollande schlägt die Stunde der Bilanz. Der Amtsinhaber hinterlässt seinem Nachfolger Emmanuel Macron ein Land mit drei Millionen Vollzeitarbeitslosen, das an sich und seinen Institutionen zweifelt. Hollandes eigene Partei, der Parti Socialiste, ist nach fünf Jahren der Regierung nur noch ein Scherbenhaufen. Keiner der gewählten Präsidenten der Fünften Republik war am Ende seines Mandats so unpopulär wie Hollande.
Er kann sich auf widrige Umstände berufen und auch geltend machen, er habe selber schon 2012 eine soziale und politische Krise sowie namentlich eine leere und hoch verschuldete Staatskasse geerbt. Nicht zufällig will sein Nachfolger Macron als Erstes mit einem «Audit» der Staatsfinanzen ein Inventar aufnehmen lassen.
An der negativen Volksmeinung über seine Präsidentschaft ist Hollande aber weitgehend selber schuld. Denn wer, wie er, den Mund zu voll nimmt, muss sich nicht wundern, wenn danach die unzufriedenen Bürger murren. François Hollande hat damals sicher viel zu viel versprochen vor seiner Wahl 2012.
Die grossen Versprechen
Alle erinnern sich in Frankreich noch an seine Tirade im Fernsehduell mit Nicolas Sarkozy: «Ich als Präsident werde immer vorbildlich sein, ich als Präsident werde …» Mit diesem rhetorischen Stilmittel der 15-mal wiederholten Einleitung hatte er die Debatte für sich entschieden, zugleich aber auch eine Liste von politischen und moralischen Versprechen gemacht. Jetzt wird er an seiner Vorgabe gemessen, und das Resultat ist nicht glorios für ihn.
Zuerst hatte man noch nachsichtig über den «Rain Man» gelächelt, der beim Amtsantritt und allen ersten Auftritten buchstäblich im Regen stand, als hätten sich alle Wettergötter gegen ihn verschworen.
Auch die Konjunktur machte ihm kein Geschenk. Das wirtschaftliche Wachstum liess auf sich warten, die Arbeitslosigkeit stieg von Monat zu Monat; erst am Ende seiner Präsidentschaft begann sich eine zaghafte Tendenzwende abzuzeichnen.
Für Hollande kommt diese definitiv zu spät. Statt die Steuern senken zu können, musste er die Abgabenlast der Haushalte erhöhen, um die Staatsfinanzen langsam wieder ins Lot zu bringen. Heute liegt das Haushaltsdefizit bei drei Prozent BIP-Anteil und damit im Rahmen der Maastricht-Kriterien der europäischen Union.
Zweite Wahl
Das aber ist seinen Landsleuten weitgehend egal. Sie sehen in ihm mehrheitlich einen grossen Zauderer, der mit seinen ursprünglichen Reformplänen längst nicht so ehrgeizig gegen diverse Sonderinteressen und Widerstände vorging, wie sie dies erwartet hatten. Der stets kompromissbereite Hollande wollte es allen recht machen, doch zuletzt war niemand zufrieden. Da aber die Franzosen und Französinnen von ihrem Staat viel erwarten, sank mit dem wachsenden Ärger über den Präsidenten auch das Vertrauen in die Institutionen. Die systemkritischen Populisten von rechts und links bekamen dagegen Zulauf.
Vielleicht war Hollandes Wahl in den Élysée-Palast ein Missverständnis. Er war nämlich nur Kandidat geworden, weil sich vor ihm Dominique Strauss-Kahn wegen eines Skandals selber disqualifiziert hatte.
Gesiegt hat Hollande danach nur deshalb, weil eine Mehrheit der Bürger genug von Sarkozy hatte. Diese Ausgangsbedingungen haben ihn im Voraus geschwächt. Doch es wäre ungerecht, wenn im «Inventar» nicht auch positive Errungenschaften erwähnt würden.
Als nachhaltiges Ergebnis seiner Präsidentschaft wird sicherlich die Legalisierung der Homoehe in die Geschichte eingehen. Die gesellschaftspolitische Reform stiess jedoch bei sehr konservativen und religiösen Kreisen auf einen unerwartet zähen Widerstand und zeitigte in der Folge einen unverhältnismässig grossen Aufwand zur Durchsetzung.
Als dann mit der Arbeitsmarktreform eine Liberalisierung anstand, die gar nicht auf Hollandes Agenda stand, verlor er auch noch die Unterstützung seiner eigenen Parlamentsmehrheit, denn der linke Flügel der Sozialisten lehnte eine solche neoliberale Wende kategorisch ab.
Von Anschlägen überschattet
Woran wird man sich zum Stichwort Präsident Hollande in ein paar Jahren sonst noch erinnern? Wahrscheinlich weniger an all das Versäumte und auch nicht an die zahlreichen anekdotischen Zwischenfälle bei offiziellen Anlässen: Seine geradezu legendäre Ungeschicklichkeit machte den Präsidenten für Satiriker und Imitatoren zur idealen Lachnummer.
In seine Amtszeit fällt der Pariser Klimagipfel oder auch die Durchsetzung des internationalen Informationsaustauschs im Kampf gegen den Steuerbetrug. Die Präsidentschaft bleibt aber vor allem von den islamistischen Terroranschlägen gegen Charlie Hebdo, das Bataclan oder die Promenade des Anglais in Nizza überschattet.
Hollande erklärte den Jihadisten den Krieg und verhängte den Notstand. Ohne zu zögern intervenierte Frankreich unter seinem Oberkommando auch in Mali, Zentralafrika und an der Seite der Alliierten in Syrien gegen die Jihadisten. Diese Schicksalsstunden waren die seltenen Momente, in denen Hollande in den Augen seiner Mitbürger in etwa ein staatsmännischer Landesvater war.
Er kann darum auch damit rechnen, dass mit der zeitlichen Distanz die Geschichtsschreibung seine Präsidentschaft – wie im Fall seiner Vorgänger auch – mit etwas mehr Nachsicht beurteilt als heute die französischen Medien. Heute aber ist es für seine Zeitgenossen ein Au-revoir ohne Tränen.
Jetzt will sich der Ex-Präsident erst mal Ferien gönnen. Von der Politik will er sich nicht ganz verabschieden. Er will im Unterschied zu anderen pensionierten Politikern weder bezahlte Konferenzreden halten, noch im Verfassungsrat einsitzen, wie es ihm sein Status als Ex-Präsident erlauben würde.
Sein Engagement gilt jetzt ganz einer Stiftung namens «La France qui s'engage», die genau all jene konkreten Innovationen in den Bereichen Erziehung, Kultur, Ökologie und Solidarität fördern soll, welche während seiner Präsidentschaft viel zu kurz gekommen sind.
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