Das sagen Ökonomen zur 5. Welle «Die Leute werden wieder vorsichtiger»
Laut Experten bedrückt die epidemiologische Lage die Schweizer Wirtschaft noch nicht. Ein erneuter Shutdown dagegen würde gewisse Branchen schmerzen. Umso wichtiger sei es, dass die neuen Massnahmen greifen.

Die Schweizer Wirtschaft hat sich sehr schnell von den bisherigen Shutdowns in der Pandemie erholt. In den letzten zwei Quartalen ist das Bruttoinlandprodukt stark gewachsen. Mit dem Impffortschritt konnten Massnahmen zu weiten Teilen gelockert werden, und die Menschen waren nach Aufhebung der Homeoffice-Pflicht wieder vermehrt unterwegs, konsumierten auswärts und kauften ein.
Die zurzeit sehr hohen Fallzahlen schlagen sich laut Ökonomen allerdings schon wieder auf dem Verhalten der Konsumentinnen nieder – obwohl die neusten Massnahmen des Bundesrats erst ab Montag gelten werden. «Man merkt es bereits im privaten Umfeld: Die Leute werden wieder vorsichtiger und bleiben eher zu Hause. Dadurch werden die Wirtschaftsaktivitäten gebremst», sagt Michael Graff, Leiter des Konjunkturbereichs der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich.
Anhand von jetzigen Daten lässt sich dies zwar nicht festmachen, doch dienen die Privatkonsumausgaben als Frühindikator für den weiteren Konjunkturverlauf. Diese werden bei weiterhin steigenden Corona-Fallzahlen voraussichtlich nicht gross zurückgehen, sondern vielmehr verlagert: «Es wird weniger im öffentlichen Raum konsumiert, dafür wird wieder mehr Online-Shopping getätigt werden», sagt Graff.
KOF-Ökonom: Massnahmen zu schwach, zu spät
Gröberen Schaden dagegen würde jedoch ein weiterer Shutdown anrichten. «Kommen die Spitäler an den Anschlag, droht der Hammer, nämlich Schliessungen», sagt Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart von der Universität Lausanne. Diese Schritte würden primär die Gastro-, Kultur- und die Veranstaltungsbranche treffen. «Solche Massnahmen wären sehr schmerzhaft für alle Betroffenen, aber anteilsmässig am Bruttoinlandprodukt (BIP) würden sie weniger ins Gewicht fallen, als man meinen könnte.»
Ohne zu wissen, welche Massnahmen der Bundesrat am Freitag genau erlassen wird, rechnet KOF-Ökonom Graff nicht damit, dass diese der Schweizer Wirtschaft einen Dämpfer verpassen werden. «Eine Homeoffice-Pflicht würde lediglich weniger Einnahmen für die Gastronomie bedeuten, und die Leute würden weniger in die Läden gehen, um zu shoppen.»
«Impfen ist die beste Wirtschaftspolitik.»
Für ihn sind die geplanten Massnahmen zu schwach und kommen zu spät. Dass mittelfristig eine Impfpflicht oder eine 2-G-Regelung eingeführt wird, erwartet Michael Graff zwar nicht, doch würde dies ein Herunterfahren der Wirtschaft vermutlich verhindern können: «In Österreich sieht man, dass durch den Lockdown die Trendwende geschafft wurde. Die Fallzahlen sinken bereits wieder.»
Härtefallzahlungen als Polster
Auch Marius Brülhart, Ökonom an der Universität Lausanne, sagt: «Impfen ist die beste Wirtschaftspolitik.» Die Schweiz ist da weiterhin im Rückstand gegenüber ihren europäischen Nachbarn. Es sei also nicht nur aus epidemiologischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht wichtig, dass viel geimpft und auch geboostert werde.
Eine Prognose für die nächsten Monate sei aktuell schwierig: «Entscheidend wird sein, was die Wissenschaft über Omikron herausfindet und wie stark die Impfung vor der Mutation schützt.» Gänzlich ausschliessen, dass es irgendwann wieder zu Schliessungen kommt, könne man nicht.
Betroffenen Unternehmen wird diesen Winter aber zumindest schneller unter die Arme gegriffen: «Wir haben nun zumindest wirtschaftspolitisch eine etwas bessere Ausgangslage als noch vor einem Jahr: Das Dispositiv für Härtefallzahlungen an geschlossene Betriebe steht bereit.»
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