Überall EntschleunigungHört bitte auf mit «Slow»
Slow Food, Slow Sex und jetzt kommt auch noch Slow Gifting – das ach so achtsame Beschenken zu Weihnachten.

Schön langsam bitte? Na ja, dafür ist es mit dem Begriff «slow» eigentlich recht schnell gegangen. Seit ein paar Jahren setzt sich das Wörtchen an wirklich jedem Bereich unseres Lebens fest, von dem irgendjemand findet, dass er entschleunigt gehört. «Slow», das bedeute «Selbstfürsorge in Reinform», so steht es zumindest recht ambitioniert auf der Webseite slow.supply, die nachhaltig hergestellte Produkte vertreibt. Aber was hat es mit einem Trend auf sich, der sich der allgemeinen Beschleunigung bewusst entgegenstellt, aber zugleich durchaus rasant ständig neue Lebensbereiche erfasst?
Regional und ökologisch geniessen – bei Slow Food hat man das «slow» noch gut verstanden. Dass der Braten langsam und ohne Antibiotika grossgezogen wird, das Brot ohne Schnellgärungsmitteln aufgeht und sogar der «Slow Juicer» als der bessere Entsafter gilt, weil er Obst und Gemüse mit Presswellen zerquetscht anstatt es zu schreddern: nachvollziehbar. Und «Slow Eating», also dreissig Mal kauen, fand schliesslich schon die Oma sinnvoll. Auch dass die Mode nun vermehrt auf «Slow Fashion» setzt, angesichts der Tatsache, dass viel zu viele Kleidungsstücke unter schrecklichen Umständen für Mensch und Natur produziert und dann wieder weggeworfen werden, ist eine gute Idee. Getragen wird nun lieber, was länger hält als nur eine Saison.
Ist Slow Aging Trost für den eigenen Verfall?
Doch damit nicht genug: Die behauptete, manchmal auch geschickt inszenierte Langsamkeit ist unaufhaltsam. Im Wohnzimmer ist neuerdings «Slow Living» Pflicht («klares, unaufgeregtes Ambiente», propagiert etwa die Wohnzeitschrift «Deco Home» und zeigt dazu Bilder von riesigen, halbleeren Räumen). In der Familie wird «Slow Parenting» ausgerufen: Man solle «den Augenblick genießen und ehren», so das Buch «Slow Family», und lieber die Ameise am Strassenrand vor der Tür beobachten, anstatt mit der ganzen Bagage in den Wald zu fahren. Und im Beauty-Bereich setzt man auf «Slow Aging», oder wie es bei Nivea heisst: sich schön «auf eigene Bedürfnisse konzentrieren und den Alterungsprozess auf diese Weise entschleunigen». Ein interessantes Versprechen von einer Firma, die Hyaloronmasken und Augenpads verkauft. Die bräuchte man bei diesem Ansatz ja eigentlich nicht mehr. Kein echter Trost also für den eigenen, doch recht flotten Verfall.
Nicht mal vor der Liebe macht die Slow-Bewegung Halt. Sich auf den ersten Blick verknallen? Nicht nachhaltig genug. Vielmehr soll man sich jetzt so lange in die Augen schauen, bis einem ganz schwindelig wird und man dem nächsten Langweiler automatisch in die Arme fällt. Die Zeitschrift «Brigitte» setzt dafür auf echte Ausdauer: «Auch wenn die Anziehungskraft anfangs ausbleibt, heisst das nicht, dass daraus nichts werden kann!» Ob Slow Love, -Sex, -Lesen, -Reisen, - Gartenarbeit: Je lahmer, desto besser.
Da scheint es wohl folgerichtig, dass dieses Jahr auch das «Slow Gifting» ausgerufen wird. Bedeutet: Socken stricken, Marmelade einkochen, was Schönes aus Holz schnitzen, am besten gemeinsam mit der ganzen Familie. Wer je verzweifelt vor einem Strickvideo gesessen hat, ohne bei der Ferse weiterzukommen oder statt einem Löffel aus dem alten Birnbaum ein krummes Dings in der Hand hatte, weiss: Das ist die beschleunigte Version von Stress.
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