Droht neuer Krieg in Nahost?Hizbollah schiesst Raketen auf Israel
Israels Regierung warnt die schiitische Miliz im Libanon vor weiteren Provokationen an der Nordgrenze. Die Lage könnte leicht ausser Kontrolle geraten.

An Israels Nordgrenze bahnt sich eine gefährliche Eskalation an: Heute wurden aus dem Libanon zum zweiten Mal in dieser Woche Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Diesmal war es gleich eine Salve von 19 Raketen. Sie richteten zwar keinen direkten Schaden an, aber die Lage nahm im Nachhinein deutlich an Dramatik zu durch eine Bekennererklärung: Anders als in vorherigen Fällen übernahm die schiitische Hizbollah-Miliz die Verantwortung für diesen Beschuss.
Im schlimmsten Fall kann dies eine Kettenreaktion gegenseitiger Vergeltung zwischen den beiden Kontrahenten in Gang setzen, die zuletzt im Sommer 2006 einen zerstörungsreichen, einmonatigen Krieg mit insgesamt 1400 Toten gegeneinander geführt haben.
Nach längerer Zeit der Ruhe waren in den vergangenen Monaten insgesamt schon fünfmal Raketen aus dem Libanon in Israel eingeschlagen. Die ersten drei Vorfälle fielen in die Zeit des Gazakriegs im Mai und weckten in Israel Ängste vor einem Zweifrontenkrieg im Norden und im Süden des Landes. Bislang machte Israel für den Beschuss im Norden ausdrücklich stets «palästinensische Terrorgruppen» verantwortlich – wissend allerdings, dass keine dieser Gruppen ohne Duldung oder Genehmigung der Hizbollah im Südlibanon operieren könnte.
Hizbollah: Nur «freie Flächen» beschossen
Nachdem der Beschuss zunächst stets nur mit Artilleriefeuer beantwortet worden war, flog Israels Luftwaffe nach Raketeneinschlägen am Mittwoch erstmals seit 2014 wieder Luftangriffe auf libanesisches Gebiet. Dies sollte offenkundig der Abschreckung dienen, ohne grössere Schäden anzurichten.
Der libanesische Präsident Michel Aoun, der politisch mit der Hizbollah verbündet ist, sprach hinterher von einer «Aggression» und warf Israel eine Verletzung der UNO-Sicherheitsratsresolution vor, die 2006 den Krieg beendet hatte. Die Hizbollah liess heute verlauten, ihre Raketensalve sei eine Reaktion auf Israels Luftangriffe gewesen. Sie betonte dabei allerdings, nur «freie Flächen» beschossen zu haben. Dennoch war ungefähr die Hälfte dieser Raketen vom israelischen Iron-Dome-Abwehrsystem abgefangen worden. Dies wird normalerweise nur aktiviert, wenn unmittelbare Gefahr für bewohntes Gebiet besteht.
Die Raketenprovokation an Israels Nordgrenze könnte als Warnung des Iran verstanden werden.
Der Schlagabtausch kommt zu einer heiklen Zeit mit vielerorts angespannten Fronten. Im Libanon selber leidet die Bevölkerung unter einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise. Die dabei unter Druck stehende Hizbollah, die sich gern als Verteidiger des Libanon präsentiert und über ein prall gefülltes Raketenarsenal verfügt, könnte daher bei einer Auseinandersetzung mit Israel auf Ablenkung hoffen.
Allerdings ginge sie dabei auch ein enormes Risiko ein. In erster Linie aber muss die vom Iran abhängige Hizbollah als Erfüllungsgehilfe der Teheraner Politik gesehen werden. Die Raketenprovokation an Israels Nordgrenze könnte daher als Warnung des Iran verstanden werden, nachdem Israel mit Vergeltung wegen eines mutmasslichen Drohnenangriffs mit zwei Toten auf ein Schiff vor der Küste von Oman gedroht hat.
Vor diesem komplizierten Hintergrund könnte die Lage also leicht ausser Kontrolle geraten. Ein israelischer Armeesprecher erklärte zwar, Israel habe keine Absicht, einen Krieg zu führen. Er warnte aber zugleich vor weiteren Provokationen an der Nordgrenze. Die israelische Führung mit Premier Naphtali Bennett und Verteidigungsminister Benny Gantz sowie die Spitzen der Armee kamen heute zu Beratungen über das weitere Vorgehen zusammen.
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