Letzte Basler SaisonpremiereHirten des Universums
Der französische Theaterkünstler Philippe Quesne leuchtet am Theater Basel das «Cosmic Drama» der Menschheit aus.

Die Galaxie rauscht. Asteroiden schwärmen ins Bild, Gasnebel wallen, Sternenpunkte leuchten die Unendlichkeit aus. Dazu ein filmreifer Soundtrack, sphärische Streicherwellen, Engelschor, Bassbombast. So ein Setting ist man vom Star-Trek-Business gewohnt. Am Theater patrouilliert die Himmelspolizei eher selten.
Umso ungewöhnlicher, was sich der französische Theaterkünstler Philippe Quesne zum Corona-Saisonfinale auf der Basler Grossen Bühne hat einfallen lassen. Sein «Cosmic Drama» ist eine garantiert konfliktfreie Begegnung mit weitgehend gestaltlosen Welten, eine Träumerei mithilfe von opulent designten Farbrauschmitteln.
Quesne, mit seiner Compagnie Vivarium Studio ein europaweit gefragter Festivalgast, hätte in einer pandemiefreien Basler Kulturagenda sicherlich auch das kosmopolitische Messepublikum der Art angezogen.

Nun erzählen Quesne und das fünfköpfige Ensemble ihr Weltraummärchen bei derzeit 100 erlaubten Sitzplätzen wohl exklusiv dem Basler Stammpublikum. Und das Märchen geht so: Es war einmal ein besonders entlegener Winkel im All, dort schaukelten die Astralkörper still vor sich hin. Die Lavalampeneffekte der kosmischen Strahlung waren L’art pour l‘art. Von der Erde kein Schatten. Auch der Krieg der Sterne fand weit, weit weg statt.
Bis eines Tages ein Raumschiff einschwebte. Es war ein bescheidenes Gefährt. Ein Raum wie ein mal grasgrünes, mal sonnengelbes Reiskorn. Oder wie ein fliegender Stall zu Bethlehem, im Querschnitt aufgerissen, mit ein paar Pritschen, einer Leiter für den Sternenausguck. Nur die Krippe fehlt.
Diagnose: Space-Crash
Dennoch gehen diese Hirten des Universums ihr Baby suchen. Ihre Mission: schutzlos im Kosmos verlorene Asteroiden-Schäflein aufspüren.
Die Rettungsstaffel hangelt sich auf die Bühnenbretter, watet knietief durch Trockeneisnebel, inspiziert die Materieklumpen, kauderwelscht auf Asteroidisch und stellt fest: Ein Mitglied der Kleinplanetenherde schwebt nicht mehr.
Diagnose: Space-Crash. Oder Liebeskummer? Jedenfalls ist es eine «Sie».

Die Mission bildet einen Kreis um den Stein, fasst sich an den Händen und versucht sich im kurativen Energietransfer von Mensch auf Materie – und, ja, in dieser Phase pflügt die Inszenierung furchtlos durch die Niederungen der Gelehrtensatire. Überfordert ist das Ensemble bis dahin nicht gerade von dem, was ihm der 51-jährige Konzeptregisseur abverlangt.
Horchen am Stein
Aber Quesne kriegt die Kurve. Kurz bevor man dem Bühnenfantasten aus Paris ernsthaft eine esoterisch angehauchte Ausstattungsorgie vorwerfen könnte, schlagen sich die Akteure auf die clowneske Seite ihres Daseins, schlüpfen in goldene Overalls und werfen sich durch eine Baumnetzmaschine.
Networking dieser Qualität scheint interstellare Kommunikation zu fördern. Jean-Charles Dumay, mit Quesne als Gast nach Basel gekommen, horcht am Stein und dolmetscht für uns und die Kollegen Snyder (Julian Anatol Schneider), Meier-Schulz (Annika Meier), Calmer (Raphael Clamer) sowie Captain Marcella (Gala Othero Winter): Die Asteroidin wolle geborgen werden. Leichter gesagt als getan.
Wie die Space-Clowns es schaffen, ihr Baby ins Yellow Submarine zu hieven, sei hier nicht verraten. Wohl aber, dass das Schönste an diesem «Cosmic Drama» sich in einem beherzten Sprung aus dem technoiden in ein spielerisches Zeitalter ausdrückt. Das war ein kleiner Schritt fürs Theater und wäre ein grosser Schritt für die Menschheit.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann schweben sie noch heute. Irgendwo durch die Bildergalaxie des Philippe Quesne.
Nächste Vorstellungen: 7., 10., 14., 16. und 22. Juni, Theater Basel, Grosse Bühne. Wiederaufnahme ab 29. August.
Stephan Reuter schreibt für das Kulturressort vor allem über Theater, genauso gern über Film, Bücher, Kunst und am liebsten über kreative Menschen. Davor Lektor an der University of Buckingham. Studium der Germanistik, Anglistik und Skandinavistik. Diverse Jury-Tätigkeiten.
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