Weltmeister Lucas HernándezHeirat trotz Kontaktverbot: Wie Bayerns Star dem Gefängnis entging
Wenige Stunden, bevor der französische Nationalspieler Lucas Hernández hinter Gitter musste, gab ein Gericht seiner Berufung statt. Ein Fall zwischen häuslicher Gewalt und Kuriosum.

«Das ist alles lächerlich, völlig gaga», so hat sich Ehrenpräsident Uli Hoeness am Montagabend am Rande der Premiere einer Amazon-Serie über den deutschen Rekordmeister zu der Affäre um eine bevorstehende Haft für Lucas Hernández geäussert, welche der FC Bayern in den vergangenen Tagen meist nur knapp kommentierte – mit Verweis auf die Privatsphäre des im Jahr 2019 für 80 Millionen Euro Ablöse von Atlético Madrid verpflichteten und damit teuersten Spielers der Club-Geschichte. Hoeness fasste den Fall sehr verkürzt und sehr erzürnt so zusammen: «Der ist mit seiner Frau verheiratet und soll jetzt ins Gefängnis für eine Geschichte, die vor Jahren passiert ist.»
Seit Mittwochvormittag ist klar: Der 25-jährige Bayern-Verteidiger muss nicht wegen Missachtung der spanischen Justiz ins Gefängnis. Wie der Oberste Gerichtshof der Region Madrid mitteilte, wurde einem Einspruch des französischen Nationalspielers gegen die vor neun Tagen ausgesprochene Vollstreckung der Haftstrafe stattgegeben. Die Aussetzung ist an Auflagen gekoppelt. So ist die Haftstrafe für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden, in welchen Hernández sich nichts zuschulden kommen lassen darf. Dieser Zeitraum geht über das gesetzlich festgelegte Minimum hinaus. Zudem muss Hernández eine Geldbusse von 240 Tagessätzen à 400 Euro zahlen, total 96’000 Euro. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Hernández war Ende 2019 zu sechs Monaten Haft verurteilt worden, weil er nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit seiner heutigen Ehefrau ein gerichtlich angeordnetes Näherungsverbot missachtet hatte. Hernandez war zuvor zweimal wegen häuslicher Gewalt rechtskräftig verurteilt worden.
Seit der Missachtung des Näherungsverbots unbescholten
Zur Begründung hiess es, es stehe im Lichte seines Strafregisters nicht zu erwarten, dass die Vollstreckung der Haftstrafe nötig sei, um neuerliche Straftaten zu verhindern. Hernández sei zwar zweimal wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden. Diese Fälle lägen aber Jahre zurück. Seit der Missachtung des Näherungsverbots sei er hingegen unbescholten geblieben. Zudem seien seine familiären und sozialen Lebensumstände zu berücksichtigen. Dazu zähle insbesondere, dass Hernández mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind zusammenlebe, «ohne dass neue Zwischenfälle zwischen den beiden bekannt wären». Es ist das vorläufige Ende eines von Anfang an kurios anmutenden Gerichtsfalls.
Quellpunkt der Lage ist die zumindest anfangs offensichtlich komplizierte Liaison zwischen ihm und seiner heutigen Frau. Sie eskalierte im Februar 2017. Ein Streit führte zu Handgreiflichkeiten – und zu einem Strafprozess, in dem beide in einem Schnellverfahren nicht nur zu (bereits geleisteter) Sozialarbeit verurteilt wurden, sondern auch zu einem wechselseitigen, sechsmonatigen und absoluten Näherungsverbot. Das heisst: Sie durften einander nicht nur nicht sehen. «Um es plastisch auszudrücken: Sie durften einander nicht einmal per Whatsapp kontaktieren», heisst es bei der Madrider Justiz.

Doch sie versöhnten sich, fuhren gemeinsam in die Ferien und heirateten nicht nur in Las Vegas, sie reisten auch gemeinsam wieder zurück. Als sie auf dem Flughafen Madrid durch die Passkontrolle gingen, fiel den Grenzbeamten auf, dass sie das Kontaktverbot unterlaufen hatten. Die Frau von Hernández hatte Glück: Ihr war das Urteil nicht offiziell zugestellt worden. Hernández aber sehr wohl, und das hatte Folgen, sowohl umgehend wie auch mittelbar: Er wurde festgenommen, verbrachte eine Nacht in Gewahrsam und wurde nach einer Vernehmung durch eine Richterin auf freien Fuss gesetzt.
Vor allem aber hatte er einen Prozess wegen Missachtung einer richterlichen Anordnung am Hals. Die Staatsanwaltschaft forderte im Januar 2018 ein Jahr Haft – ein Strafmass, bei dem Hernández nicht ins Gefängnis gemusst hätte. Denn: Üblicherweise werden in Spanien Haftstrafen nicht vollstreckt, wenn das Strafmass unter zwei Jahren liegt, sondern zur Bewährung ausgesetzt. Als aber Ende 2019 das Urteil zu sechs Monaten Haft wegen Missachtung der Justiz erging, galt Hernández bereits als Wiederholungstäter. Ein Strafgericht in Móstoles bei Madrid hatte ihn Mitte 2018 wegen eines weiteren Falls von häuslicher Gewalt verurteilt, hiess es in einer Mitteilung der Justizbehörden vom 13. Oktober 2021.
Sportlich überzeugt Hernández ausgerechnet jetzt seit Wochen
Bei häuslicher Gewalt kennen Spaniens Gesellschaft und auch die Justiz kein Pardon, ohne Ansehen der Person. Und was Kontaktverbote anbelangt, ist Spaniens Justiz unerbittlich. Die Rechtsdoktrin besagt, dass richterlich verordnete Kontaktverbote ohne Ausnahme respektiert werden müssen, Versöhnungen hin oder her. Hintergrund: Es hat in der Vergangenheit zahlreiche Fälle gegeben, in denen es trotz echter oder vermeintlicher Versöhnungen, trotz Beteuerungen von Familienglück, zu neuen Fällen von innerfamiliärer Gewalt gekommen ist, teilweise mit tödlichem Ausgang. Die Strenge geht so weit, dass die Person, die von der oder dem Geschädigten innerhalb eines geltenden Näherungsverbots kontaktiert wird, Anzeige erstatten müsste. Und das war Hernández im Grunde durch das Urteil von 2017 bekannt, als er mit seiner heutigen Frau in die Ferien fuhr.

Die Geschichte fiel in eine Zeit, in der sich der umstrittene Status von Hernández bei Bayern München zu stabilisieren schien. Seit seiner Verpflichtung 2019 hatte er mit Verletzungsproblemen zu kämpfen, die noch bei seinem vorherigen Club Atlético Madrid begannen. Ausserdem spielte er in München Linksverteidiger, obwohl er sich als Innenverteidiger sah. Das nährte auch eine von vielen Meinungsverschiedenheiten zwischen Sportvorstand Hasan Salihamidzic und dem einstigen FCB-Trainer Hansi Flick.
Nun, nach der Genesung von einer Meniskusverletzung im Sommer, ist er unter Flicks Nachfolger Julian Nagelsmann Innenverteidiger und Stammkraft. «Er hat gute Spiele gemacht», lobte Nagelsmann am Dienstag.
Diese kann er nun auch in den nächsten Monaten im Dress der Münchner zeigen. So wird nicht nur Lucas Hernández an diesem Mittwoch aufgeatmet haben, sondern ein ganzer Verein.
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