Heiler-Prozess: «Skrupellos und menschenverachtend»
Der «Heiler von Bern» ist in den Augen des Regionalgerichts Bern-Mittelland «hinterhältig, skrupellos und menschenverachtend» vorgegangen. Warum er dies tat, müsse offen bleiben.
Das Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilte den «Heiler» am Freitagvormittag zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren und 9 Monaten wegen schwerer Körperverletzung und Verbreitens menschlicher Krankheiten. Der Staatsanwalt hatte 15 Jahre gefordert, der Verteidiger hatte auf Freispruch «in dubio pro reo» plädiert.
«Der Angeklagte und niemand anders ist für die Infizierung der 16 Menschen verantwortlich», sagte Gerichtspräsident Urs Herren bei der Urteilsverkündung. Die phylogenetische Analyse und die Aussagen aller Beteiligten seien wie einzelne Puzzleteile, die sich zu einem schlüssigen Bild zusammenfügten.
Die Urteilseröffnung war - anders als der Prozess - öffentlich. Mehrere Dutzend Interessierte verfolgten die Erläuterungen des Gerichtspräsidenten im Assisensaal. Der «Heiler» zeigte während der Urteilsverkündung kaum eine Regung.
Als wichtiges Indiz für die Schuld des «Heilers» erachtete das Gericht die phylogenetische Analyse, wie Herren deutlich machte. Alle 16 Opfer mussten sich demnach an derselben Quelle infiziert haben, und zwar mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit via eine Spritze, die ihnen gezielt verabreicht wurde.
Gericht glaubt Opfern
Da der «Heiler» stets seine Unschuld beteuert habe, sei das Gericht auch darauf angewiesen, die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen und diejenigen der 16 Infizierten zu beurteilen, sagte Herren. Die allermeisten Aussagen der Opfer seien im Verlauf der Ermittlungen «konstant» geblieben.
Die Opfer, die im Rahmen einer angeblichen «Behandlung» gestochen worden seien, hätten eine exakte Schilderung der Vorgänge liefern können. Diejenigen Leute, die aus dem Nichts von hinten gestochen worden seien, hätten das «Stichereignis» ebenfalls genau beschrieben. Einzig die Opfer, die offenbar einen K.O.-Drink erhalten hatten, seien naturgemäss nicht zu näheren Beschreibungen imstand gewesen.
Angesichts der Vielzahl der übereinstimmenden Aussagen sei es unwahrscheinlich, dass Absprachen getroffen worden seien. Eine solche Verschwörung wäre nach Überzeugung des Gerichts aufgeflogen. Hinzu komme, dass es sich bei den Opfern um eine äusserst heterogene Gruppe von jungen und älteren Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten handle.
Der Angeklagte habe seinerseits die Taten nicht nur bestritten, sondern sei gleich zum Gegenangriff übergegangen und habe den Opfern ungeschützten Sexualverkehr und intravenösen Drogenkonsum unterstellt. Diese Behauptungen hätten sich als «absurd» erwiesen, stellte Herren fest. Der Angeklagte bleibt in Sicherheitshaft.
«Skrupellos und menschenverachtend»
Der «Heiler von Bern» ist in den Augen des Regionalgerichts Bern-Mittelland «hinterhältig, skrupellos und menschenverachtend» vorgegangen. Warum er dies tat, müsse offen bleiben, sagte Gerichtspräsident Urs Herren am Freitag in der Urteilseröffnung.
Ein möglicher Grund könne das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung sein, mutmasste Herren. Als Motiv denkbar seien auch etwa das Streben nach Macht oder das Verlangen nach Rache sowie Allmachtsphantasien.
«Ein klares Motiv ist aber nicht zu erkennen», sagte Herren. Sicher sei aber, dass es kein uneigennütziges Motiv sein könne, «sonst hätte er nicht gesunde Menschen krank gemacht».
Bei der Strafzumessung falle erschwerend ins Gewicht, dass Geständnis, Einsicht und Reue ausgeblieben sein. Von der Höchststrafe, die der Staatsanwalt forderte, habe das Gericht abgesehen, weil es trotz allem noch schlimmere Fälle gebe.
Allfällig weiterziehen
Der «Heiler von Bern» sei nach dem Urteil «sehr niedergeschlagen», sagte sein Verteidiger Ernst Reber am Freitag vor dem Berner Amthaus. Der Mann hatte stets seine Unschuld beteuert.
Ob er das Urteil weiterziehen werde, sei noch nicht entschieden, sagte Reber. Er werde nun Berufung anmelden und die schriftliche Urteilsbegründung abwarten; den definitiven Entscheid werde erst danach gefällt.
Staatsanwalt Hermann Fleischhackl äusserte Zufriedenheit: Das Gericht sei zu denselben Schlüssen gekommen wie er, stellte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda fest.
Allerdings blieb das Gericht bei der Strafzumessung mit 12 Jahren und 9 Monaten unter den beantragten 15 Jahren. Er wolle deshalb die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und erst danach über einem allfälligen Weiterzug entscheiden, sagte Fleischhackl.
SDA/cls, wrs
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