Wochenduell zur Fussball-BundesligaHat Deutschland die langweiligste Liga der Welt?
Die Bundesliga ist des Schweizer Fussballfans liebstes Stiefkind – und das, obwohl Bayern München ein Jahrzehnt lang den Titel gewann und kein Ende der Erfolgsserie in Sicht ist.

Ja, denn nichts ist auch nur annähernd so interessant wie ein Kampf um die Meisterschaft, den es in der Bundesliga nicht mehr gibt
Todsichere Wetten gibt es nicht. Ausser eine: Deutscher Meister 2023 wird der FC Bayern München. Wenn Sie nun bei Bwin 100 Franken darauf setzen, dann werden Sie zum Ende der Bundesliga-Saison zwei Franken reicher sein als jetzt. Das sagt die Quote von 1,02. Und die Wahrscheinlichkeit, auf der diese beruht: Zehn Meistertitel in Folge verbunden mit einem Vorsprung von vier und mehr Punkten auf die Konkurrenz sprechen Bände.
Man kann natürlich auch auf RB Leipzig und damit die zweittiefste Gewinnquote setzen. Dieselben 100 Franken würden im Erfolgsfall ein sattes Plus von 2300 Franken bringen. Das ist viel mehr als zwei Franken. Allein: Das Fallbeispiel steht im Konjunktiv – und daran wird sich bis Ende Mai auch nichts mehr ändern.
Damit ist alles gesagt über die Attraktivität einer Liga, die bis vor zehn Jahren an Aufregung kaum zu überbieten war. Auch damals war der FC Bayern München das Mass aller Dinge. So wie im Grunde immer seit den 1970er-Jahren. Aber es war faszinierend zuzuschauen, wie es mal Werder Bremen, mal dem VfB Stuttgart, mal Borussia Dortmund oder dem 1. FC Kaiserslautern gelang, den entweder geliebten oder gehassten Ligakrösus hinter sich zu lassen und so regelmässig für Abwechslung zu sorgen.
Gewiss: Die Stadien sind voll, die TV-Geräte flimmern. Das hat auch mit einem grossen Traditionsbewusstsein des Publikums und der entsprechenden Verbundenheit zu tun. Aber genauso damit, dass eine Liga mehr ist als die Summe ihrer engen Titel-Entscheidungen und ihrer wechselnden Meister. Und ja: Während der Kampf um die Europacup-Plätze hinter dem Besten in keiner Liga der Welt wirklich interessiert, hält der Abstiegskampf regelmässig grosse Dramen bereit – das gilt insbesondere für die Bundesliga.
Aber am Ende ist nichts auch nur annähernd so von Belang wie der Kampf um die Liga-Krone. Dabei darf es auch oft denselben Sieger geben. Aber wenn man aufgrund einer zehnjährigen, immer gleichen Erfahrung schon vor Liga-Halbzeit weiss, wer Meister wird, dann fehlt der Liga das Wichtigste praktisch komplett und ist sie auch mit ganz viel Abstiegskampf nur noch mau.
Es gibt keine andere europäische Topliga mit einem vergleichbar dominanten Serienmeister. Nicht einmal in Frankreich sind die Kataris von Paris St-Germain ein Jahrzehnt lang Meister geworden. In Spanien wechseln sich seit jeher Real Madrid und der FC Barcelona ab. Italien hat mal Juve, mal Milan, mal Inter – und vielleicht bald Napoli. Und in England, wo das viele Geld als Gleichmacher wirkt, wechseln die Meister seit langem wohltuend regelmässig.
Deshalb lässt sich trotz vorhandener fussballerische Klasse behaupten: Langweiliger als Bundesliga geht nicht. Aber immerhin gibt es eine todsichere Wette … Oliver Gut
Nein, die Bundesliga hat genügend Asse im Ärmel – auch dann, wenn die Bayern immer wieder Meister werden
Immer wieder hört man die alte Leier, dass die deutsche Bundesliga derart langweilig sei. Klar, dass der FC Bayern München nun zehnmal in Folge Meister wurde und finanziell in einer anderen Liga spielt, ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist dabei jedoch zu beachten, dass Ersteres nicht zuletzt auch am Unvermögen der anderen Mannschaften lag – allen voran an Dauerrivale Borussia Dortmund.
So verspielten die Dortmunder allein in der Saison 2018/19 einen Vorsprung von neun Punkten. Spielerisch schienen die Westfalen den Münchnern in weiten Teilen jener Spielzeit überlegen, doch am Ende scheiterten sie an ihren eigenen Nerven. Diese Gewinnermentalität, die konstante Gier nach Erfolg, durch die sich der Rekordmeister seit jeher auszeichnet, geht den anderen Teams zumeist ab. Sie schaffen es zwar, die Bayern in einem Spiel zu bezwingen, lassen aber sonst gegen vermeintlich schwächer einzustufende Clubs zu oft Federn.
Wenn es ein Verein also schafft, nicht nur spielerisch, sondern auch auf mentaler Ebene über die ganze Saison hinweg eine gewisse Beständigkeit hinzukriegen, dann ist er in der Lage, dem Branchenprimus die Meisterschaft streitig zu machen. Und er muss Leistungstiefs des aktuellen Tabellenführers gnadenlos ausnutzen: So gastieren die Münchner kommenden Freitag beim derzeitigen Dritten RB Leipzig. Gewinnen die ambitionierten Sachsen – ungeschlagen seit dem siebten Spieltag –, sind sie bis auf drei Punkte an den Bayern dran. Bei anschliessend noch 18 verbleibenden Partien wäre der Kampf um den Titelgewinn wieder eröffnet.
Von Langeweile kann dann keine Rede sein. Zumal die Bundesliga so viele andere Highlights zu bieten hat, die dem ebenfalls widersprechen würden: So liefern sich die Mannschaften Jahr für Jahr enge Rennen um die europäischen Plätze, und auch der Abstiegskampf ist nicht selten spektakulär. 2015 beispielsweise hätten rein rechnerisch vor dem letzten Spieltag noch sechs Teams den Gang in die zweite Liga antreten können.
Es gibt zudem jedes Wochenende volle Stadien, die Südtribüne in Dortmund, leidenschaftliche Fans, eine zumeist friedliche Stimmung und vergleichsweise faire Ticketpreise. Und in welcher anderen europäischen Topliga gibt es am Samstagnachmittag noch eine Konferenz mit fünf gleichzeitig startenden Partien? In einer Fussballwelt, in der Geldgier und Kommerzialisierung keine Grenzen zu kennen scheinen, ist das eher Ausnahme denn Regel. Die Bundesliga hat somit genügend Asse im Ärmel, um das Interesse des Zuschauers zu wecken – selbst dann, wenn immer wieder die Bayern Meister werden. Daniel Schmidt
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