Wochenduell: Immer mehr, immer grösserHängt uns der Fussball bald zum Hals heraus?
Meisterschaft, Europa League, Champions League, eine EM in ganz Europa und immer neue Formate: Der grösste Sport der Welt wird immer grösser – und es scheint kein Ende in Sicht.

Pro: Fussball, Fussball und immer noch mehr Fussball. Auch der tollste Sport der Welt verliert irgendwann seinen Reiz.
Am Freitag vor einer Woche spielte der FCB sein letztes Saisonspiel. Am vergangenen Wochenende gingen die meisten grossen Ligen Europas zu Ende. Am Mittwoch duellierten sich Villarreal und Manchester United um den Europa-League-Titel, und am Samstag kämpfen Manchester City und Chelsea um die Champions-League-Trophäe. Daneben laufen die Relegationsspiele in der Schweiz und in Deutschland. Und am 11. Juni beginnt dann bereits die EM, die genau einen Monat für die volle Fussballdröhnung sorgt.
Man könnte meinen, dass Fussballliebhaber in den nächsten Wochen voll auf ihre Kosten kommen und genügend Gelegenheiten haben, ihrer Leidenschaft zu frönen. Doch der Schein trügt. Bei einem solchen Überangebot besteht das Risiko, dass die Anhänger die Freude am Sport verlieren. Wenn plötzlich mehrmals pro Woche herausragende Affichen auf die Fans warten, besteht die Gefahr einer Übersättigung. Man freut sich nicht mehr auf ein spezielles Spiel, denn es ist nur noch eines von vielen. Ausserdem hat der prall gefüllte Terminkalender auch Einfluss auf die Qualität der Spiele.
Klar, man darf von Profis erwarten, dass sie englische Wochen absolvieren können. Doch nicht jede Woche mit kaum Erholungszeit im Winter und Sommer. Dies ist vor allem in EM- und WM-Jahren ein grosses Problem. Heuer findet der EM-Final am 11. Juli statt. Nicht einmal einen Monat später beginnt beispielsweise für die deutschen Clubs die Saison mit der 1. Runde im DFB-Pokal. Da bleibt kaum Zeit für Regeneration.
Bestes Beispiel dafür ist der FC Bayern München. Letztes Jahr musste der Club beim Triple-Gewinn bis tief in den August spielen und startete praktisch nahtlos in die Vorbereitung. Das Fehlen der Pause konnten die Münchner zum Ende der Hinrunde nicht kaschieren, die Qualität ihrer Spiele nahm merklich ab.
Doch anstatt den Spielplan auszudünnen, denkt sich die Uefa immer wieder neue Formate oder Wettbewerbe aus. Nach der Einführung der Nations League folgt auf die neue Saison hin die Europa Conference League, die am Donnerstag zeitgleich mit der Europa League stattfinden soll. Ab 2024 soll dann die Champions League umstrukturiert werden, sodass neu 36 statt 32 Teams teilnehmen können. Die Gefahr einer Übersättigung wird sich in den kommenden Jahren also erhöhen. Und das könnte dazu führen, dass auch der tollste Sport der Welt am Ende seinen Reiz verliert.
Kontra: Wie öde sind jene Sommer, an denen kein Turnier stattfindet und der Ball einfach mal zwei Monate stillsteht?
Die These, dass wir mit einem Überangebot der schönsten Nebensache der Welt konfrontiert sind, ist gerade jetzt schlichtweg absurd. Schliesslich steht die Europameisterschaft vor der Tür! Fünf Jahre mussten wir darauf warten, pandemiebedingt sogar noch eines mehr als sonst. Die letzte WM fand vor drei Jahren statt. Drei Jahre ohne internationales Turnier, und es wird eine Debatte darüber geführt, dass wir einen Fussballüberfluss haben? Unfassbar.
Wer liebt sie denn nicht, diese Tage, an denen man sich zu Hause mit der Familie, mit Freunden im Strandbad oder nach dem Feierabend beim Public Viewing die Spiele der grossen Turniere angucken kann? Es ist doch diese Stimmung, die einen guten Sommer erst zu dem macht, was er ist. Und alle werden angesteckt vom Fussballfieber. Selbst diejenigen, die sonst wenig Verständnis dafür aufbringen, dass man 22 Männer beim Hinterherjagen eines Balles beobachtet, sitzen mit Shaqiri-Trikot vor den Bildschirmen. Und wie öde und langwierig sind im Gegensatz dazu jene Sommer, an denen kein Turnier stattfindet und der Ball einfach mal zwei Monate stillsteht? Fast nicht auszuhalten.
Doch die Pandemie zwang nicht nur die Pläne für die EM, sondern auch den Vereinsfussball in die Knie. Seit März des vergangenen Jahres kann man Fussball nicht mehr im Stadion geniessen, sondern nur noch vor dem Fernsehgerät. Für viele Anhänger ist der wöchentliche Gang ins Stadion dick im Kalender markiert, da muss in Zeiten wie diesen umso mehr Fussball gezeigt werden, um die Bedürfnisse der Stadiongänger einigermassen befriedigen zu können.
Doch das ist ja nicht einmal wirklich der Fall. Die Realität sieht nämlich so aus, dass nicht zu viel, sondern zu wenig Fussball gezeigt wird! Fussball im öffentlichen TV ist Mangelware geworden. SRF zeigt ab kommender Saison gar keine Spiele der Uefa Champions League mehr. Wöchentlich wird lediglich eine Partie der Super League gezeigt. Wem dieses Angebot nicht genügt, zahlt monatlich Unsummen für Pay-TV-Sender wie Blue oder Sky, und sogar da ist das Angebot ausbaufähig. Eine Überdosis an Fussball wird so unmöglich gemacht.
Aktuell ist die Diskussion, dass wir mit zu viel Fussball konfrontiert werden, also überflüssig. Ob sich dies in der Zukunft mit der Expansion von Champions League und Club-WM ändert, wird sich zeigen. Doch egal wie es kommt, sowohl in der heutigen Zeit als auch in der Zukunft behält folgende Devise für all jene, die sich über zu viel Fussball beschweren, ihre Gültigkeit: Wenn man keine Lust hat, sich das Spiel mit dem runden Leder anzugucken, dann kann man es ja auch einfach sein lassen. Es wird niemand dazu gezwungen.
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Braucht die Super League den FC Sion?Ist Basel noch eine Sportstadt? Gehört ein Fussballclub seinen Fans? Bringt der Social-Media-Streik etwas im Kampf gegen Rassismus? Sollen die Olympischen Spiele von Tokio stattfinden?
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