Händewaschen und Fiebermessen
Mehr als 400 Menschen haben sich in der Demokratischen Republik Kongo mit dem Ebola-Virus infiziert. Ein neuer Impfstoff hat bisher eine Ausbreitung verhindert.

«Wir stossen an unsere Grenzen», sagt Richard Kitenge vom kongolesischen Gesundheitsministerium. «Schliesslich sind wir Zivilisten und nicht das Militär.» Er ist dieses Jahr schon das zweite Mal rund um die Uhr gegen das tödliche Zaire-Ebola-Virus im Einsatz. Der Mediziner hat sein Büro in der Provinzhauptstadt Goma, wo jede halbe Stunde ein weisses Frachtflugzeug der Vereinten Nationen abhebt, um Menschen und Material ins Epizentrum der Epidemie zu transportieren.
Mit über 425 Infizierten und mehr als 240 Toten gilt der Ebola-Ausbruch, der seit Anfang August im Ostkongo wütet, als der schwerste in der Geschichte des Landes und der zweitschwerste der Welt. Das kongolesische Gesundheitsministerium und internationale Organisationen haben Schwierigkeiten, die Epidemie zu kontrollieren. Es sei problematisch für die Helfer, die Menschen überhaupt zu erreichen, sagt Kitenge: «Die Leute mögen zwar nach und nach auf unsere Ratschläge hören und sich die Hände waschen, aber für Krieg sind wir nicht ausgerüstet.»
Die Nothilfe operiert vor allem im dicht besiedelten Gebiet um die Grossstädte Beni und Butembo, das vom aktiven Konflikt geprägt ist. Obwohl die UN-Mission Monusco seit 1999 mit rund 16'000 Mann einen der weltweit grössten Einsätze im Ostkongo hat, ist kein Ende des Kriegs in Sicht. «Die Leute wissen gar nicht, vor wem sie mehr Angst haben sollen: vor Ebola oder vor den ADF-Rebellen», sagt Kitenge. Dennoch gibt sich der Mediziner vorsichtig optimistisch: «Seit kurzem haben wir eine neue Waffe im Kampf gegen Ebola – die Impfung.»
Die angespannte Sicherheitslage erschwert immer wieder die Arbeit der Mediziner und Helfer. Erst vor kurzem gerieten sie zwischen UNO, Rebellen und kongolesische Truppen. «Jeden Tag flieht ein Patient in eine der ‹roten Zonen›, zu denen wir keinen Zugang haben», sagt Kitenge. «Was die Krankheit dann dort anrichtet, wissen wir nicht.»
Lange vernachlässigt
Peter Salama, Direktor des Notfallprogramms der Weltgesundheitsorganisation WHO, hält das neue Ebola-Vakzin für den Schlüssel zur Verhinderung einer grösseren Katastrophe: «Der Impfstoff ist bahnbrechend. Das Vakzin ist der Grund dafür, dass wir nicht schon Tausende Fälle haben.» Inzwischen wurden schon mehr als 37'000 Menschen mit dem experimentellen Impfstoff immunisiert, darunter etwa 10'000 Pflegekräfte und 8000 Kinder.
Lange war Ebola von der Pharmaindustrie vernachlässigt worden: Seit das Virus 1976 entdeckt wurde, traten Ausbrüche sporadisch und meist lokal begrenzt in Afrika auf. Erst als der Erreger in Westafrika zwischen 2013 und 2016 mehr als 28'000 Menschen infizierte und über 11'000 Patienten tötete, realisierte die Welt, dass er das Potenzial hat, sich weiter auszubreiten als zuvor angenommen.
Die Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika ist seither massiv vorangetrieben worden. Ein experimentelles Serum mit dem Namen rVSV-ZEBOV wurde als einer der erfolgversprechendsten Impfstoffkandidaten ausgewählt und in der Schlussphase der Epidemie in Guinea erfolgreich an 11'000 Menschen getestet.

Mittlerweile wird der Impfstoff vom US-Pharmakonzern Merck produziert und von der Impfallianz Gavi bezahlt, die sich für einen besseren Zugang zu Impfungen in Entwicklungsländern einsetzt. Gavi und Merck haben zugesichert, dass sie im jetzigen Ausbruch im Ostkongo bis zu 300'000 Dosen des Impfstoffs bereitstellen können.
Der Impfstoff wurde schon bei einem früheren Ausbruch im Frühjahr in der Provinz Equateur erfolgreich eingesetzt. Die Akzeptanz ist hoch. «Das einzige Problem ist, dass das Serum nicht für jeden verfügbar ist», sagt Steward Mohindo, der gemeinsam mit anderen Studenten aus Beni die Nothilfe unterstützt, «sondern nur für die Kontakte der Kontakte von Infizierten.» Er geht in die einzelnen Haushalte, um die Bevölkerung über das Vakzin aufzuklären. Der junge Mann ist selbst nicht geimpft worden, hat aber keine Befürchtung, sich mit dem Virus zu infizieren: «Wir folgen strikt dem Protokoll, so haben wir beispielsweise das Händeschütteln zur Begrüssung ausgesetzt.»
Das dicht besiedelte Gebiet des Ebola-Epizentrums liegt nur einen Steinwurf vom Virunga-Nationalpark entfernt, der Heimat bedrohter Gorillas. Zwischen den grünen Bergketten der Virunga-Vulkane im Grenzgebiet zwischen Ruanda, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo führen über hundert Milizen, allen voran die berüchtigten Allied Democratic Forces (ADF), seit Jahrzehnten einen brutalen Krieg um die Kontrolle über die Rohstoffvorkommen der Region wie Holz, Coltan, Gold, Kobalt und Kupfer.
Eine Million Flüchtlinge
Mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht vor der Gewalt. Das stellt die Nothilfe vor ein grosses Problem. «Die Gefahr ist hoch, dass sich unter den Flüchtlingen infizierte Menschen befinden», sagt Yves Willemot, Repräsentant der Kinderhilfsorganisation Unicef in Goma. Unicef schätzt das Risiko, dass sich die Krankheit in die Nachbarländer ausbreitet, inzwischen als «sehr hoch» ein. Das Personal an den Grenzen ist mit Thermometern ausgerüstet und dafür ausgebildet worden, erste Anzeichen von Ebola zu erkennen.
Die am stärksten von Ebola betroffenen Regionen rund um Beni mit 200'000 und Butembo mit vier Millionen Einwohnern sind ausserdem boomende Handelszentren. Sie liegen an den wichtigsten Verkehrsrouten der Region und sind zudem Knotenpunkte des illegalen Handels mit Holz und Diamanten, der durch Uganda und Kenia bis nach Hongkong, Indonesien und Europa reicht. Bisher wurden mehr als 14 Millionen Reisende untersucht.
Für die Aufklärungsarbeit gehen Hunderte Freiwillige von Haus zu Haus, nutzen aber auch andere Medien und Kanäle, um möglichst viele Menschen zu erreichen: Filmvorführungen in Dörfern, interaktive Radiosendungen, Workshops mit Gemeindevorstehern, religiösen Führern und Jugendgruppen sowie Whatsapp-Gruppen.
Unter Anleitung des kongolesischen Gesundheitsministeriums werden zudem bezahlte Freiwillige von Tür zu Tür geschickt, um alle Infizierten und deren Kontakte zu finden. Wird eine Person mit Ansteckungsrisiko identifiziert, wird der Fall im Labor getestet und dann eine Impfung angeboten. Nach der Impfung muss der Betroffene 21 Tage – die maximale Inkubationszeit des Virus – beobachtet werden. «Es dauert bis zu zehn Tage, Immunität aufzubauen, nachdem jemand geimpft ist. Also müssen wir schnell sein», sagt Guido Cornale, Unicef-Chefkoordinator in Beni.
Es ist harte Arbeit und extrem kompliziert, die richtigen Leute zu identifizieren. «Stellen Sie sich vor, ein Ebola-Tod ereignet sich in einer Gemeinschaft», sagt Cornale. «Wir müssen zunächst alle Personen identifizieren, die an der Beerdigung teilgenommen haben. Dann wiederum müssen wir all jene finden, die mit ihnen in Kontakt standen. Das summiert sich. Vor allem, wenn sie dann auch noch herumreisen.»
Das Rätsel der infizierten Kinder
Immer wieder gibt es neue Komplikationen, bei denen die Detektivarbeit der Kontaktsucher gebraucht wird. So stellten sprunghaft ansteigende Fallzahlen infizierter Kinder die Epidemiologen vor ein Rätsel. Die Anzahl der betroffenen Frauen und Kinder sei viel höher als bei früheren Epidemien, so Cornale. Das Phänomen war besorgniserregend, weil der Grund lange im Dunklen blieb.
Schliesslich fanden Cornale und sein Team die Antwort: Die meisten Frauen und Kinder hatten sich in medizinischen Einrichtungen infiziert. Fast alle Betroffenen hatten Krankenstationen besucht, in denen Pfleger eine Kombination aus traditioneller und moderner Medizin praktizieren und sich nicht an Hygienemassnahmen halten. «Sie verwenden keine Handschuhe, sie haben keine Handwaschstationen. Oft benutzen mehrere Patienten dasselbe Bettlaken, dieselbe Nadel», so Cornale.
Aufgrund der Sicherheitslage ist es für die Regierung schwierig, diese informellen Gesundheitseinrichtungen zu überwachen. Daher arbeiten Nothelfer daran, jeden einzelnen der privaten medizinischen Behandler zu kartieren. «Die Idee ist, ein leistungsorientiertes Finanzsystem einzurichten», so Cornale. «Wenn die privaten Mediziner unsere Hygieneanforderungen erfüllen, zahlen wir ihnen einen Bonus. Der neue Ansatz gibt uns wirklich die Hoffnung, dass wir die Epidemie schnell beenden können.»
Es drohen Wahlen – und Unruhen
Selbst wenn Mitarbeiter von Hilfsorganisationen schon viel getan haben, um die weitere Verbreitung des Ebola-Virus zu stoppen, müssen sie jetzt schnell sein. Kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember, stehen die seit Jahren von Präsident Joseph Kabila verschleppten Neuwahlen an. Obwohl er selbst kein drittes Mal kandidieren wird, ist die politische Stimmung aufgeheizt. Die zerstrittene Opposition befürchtet, dass der Präsident seinen auserkorenen Nachfolger um jeden Preis durchdrücken wird – Anti-Kabila-Proteste werden jetzt schon blutig niedergeschlagen. Lokale Zeitungen sind voll von grellen Artikeln, die das Aufflammen erneuter Gewalt in der Region illustrieren.
Internationale Hilfsorganisationen sorgen sich wegen der möglichen Auswirkungen der Wahlen auf Bevölkerungsbewegungen, nicht nur innerhalb des Kongo, sondern auch grenzübergreifend. Das Flüchtlingskomitee der Vereinten Nationen hat bereits Zehntausende Menschen gemeldet, die nach Uganda geflohen sind. Auch dort haben jetzt erste Impfungen begonnen.
Die Recherche für diesen Artikel wurde vom European Journalism Centre/ Global Health Journalism Grant Programm unterstützt.
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