Gute-Besserung-Karte an die Ex
Weltschmerz war gestern: Mit seiner ersten Soloplatte hat sich Conor Oberst von der Band Bright Eyes zum abgefeimten Storyteller gewandelt.
Die Mariendistel ist eine nützliche Pflanze. Das Silymarin, das aus ihr gewonnen wird, entgiftet die Leber. Dieser «Milk Thistle» widmet Conor Oberst den letzten Song seines ersten Soloalbums. Still und innig, klingt er wie ein Gebet: Möge das Heilkraut die Wunden heilen, die das Album gerissen hat: die Songs, die den Exzess feiern, ebenso wie jene, in denen der Kater grimmt.
Die Rock- und Folkmusik ist voller Platten, die das Leben auf der Strasse besingen. Einige feiern mit den Beatniks die Freiheit, die dort zu gewinnen ist. Andere, man denke nur an Townes van Zandts verheerende Lieder der Einsamkeit, erzählen vom Preis, den dieses Leben kostet. Der 28-jährige Conor Oberst , der für sein neues Album seine Stammband Bright Eyes für einmal hinter sich gelassen hat, fasst die Erfahrungen in einem Songzyklus zusammen, der von einem Ausbruch nach Mexiko erzählt, an den Fuss des Vulkans Popocatepetl. Die Reihenfolge ist dabei nicht logisch: Der Schlachtruf zum Aufbruch beispielsweise, «NYC - Gone, Gone», steht mitten im Album, während der erste Song «Cape Canaveral» bereits die Faulheit und den assoziativen, vermutlich drogeninduzierten Gedankenflug vorwegnimmt, die den Sänger in Mexiko ereilen. In «Sausalito» kriegt er polyglotten Sex, und in «Get-Well-Cards» schickt er seiner zurückgebliebenen Ex eine Gute-Besserung-Karte; bloss dass der mexikanische Postmann am Strand eingeschlafen ist.
Nicht autobiographisch
Oberst hat das Album tatsächlich in Mexiko aufgenommen, trotzdem sollte man nicht dem Gedanken verfallen, es sei autobiografisch. Schon auf dem letzten Bright-Eyes-Album «Cassadaga» hat sich der Songwriter, der auf seinen frühen Platten die Panik und den ganzen Weltschmerz seiner Generation zu schultern schien, in einen abgefeimten Storyteller verwandelt. Diese Entwicklung - manche werden es Reifung nennen - zum versierten, viele Erzähltöne treffenden Songwriter scheint nun abgeschlossen. Zumal die Begleitband den Americana-Boden zwischen Countryrock und Folksong äusserst abgebrüht verlegt.
Die Dringlichkeit eines frühen Meisterwerks wie «Lifted . . .» ist so verflogen, an ihre Stelle treten aber ein gut funktionierendes Konzept und jede Menge Können: Wie sich ab dem vierten Song die Traurigkeit und die Verwirrung in den Mexikoreisenden zurückschleichen, das ist schon sehr schön gemacht. Bis es in «Eagle on a Pole» dann raus ist: «The past don't ever quit.» Das mag eine Banalität sein, aber so unendlich bedrückt hat man das Gefühl, seine Vergangenheit mit sich herumzutragen, noch selten eingefangen gehört. «El cielo es azul», heisst es noch im Song, aber die Gedanken sind schwarz. Und man denkt an «Moab», wo der Sänger beim Grenzübergang verlautbarte: «There is nothing that the road cannot heal.» Und doch die Autos bemerkte, die in die andere Richtung fuhren.
Das war ein Omen. Am Ende ist es nicht die Strasse, die den Globetrotter heilt, sondern die Mariendistel.
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