
Man kann sich wenige Dinge vorstellen, die so aus der Zeit gefallen sind im Jahr 2023 wie «Deutschland sucht den Superstar». Aber retro ist in der insgesamt ziemlich hilflosen Fernsehunterhaltung ja schon länger ein Trend, und deshalb ist es richtig, dass DSDS in einer 20. und letzten Staffel noch einmal zurück ist, mit Dieter Bohlen. Klar also, dass Menderes Bagcı auftaucht, der Traditionsgast und Michael Jackson-Imitator, der schon in der ersten Staffel und dann immer wieder an der Show teilnahm und zur allgemeinen Belustigung schrecklich scheiterte. Menderes ist die eine Konstante von DSDS, die andere ist Dieter Bohlen.
Seit Bohlen mit dem bescheuerten Beinamen «Pop-Titan» im Jahr 2002 zum ersten Mal Jury-Chef wurde, als fieser Spöttelbohlen, wurde Youtube und das iPhone erfunden, eine Finanzkrise, ein Atomunglück, mehrere Kriege und eine handfeste Pandemie brachen aus. Die ganze Zeit lief jährlich DSDS mit Bohlen – bis zum annus horribilis 2022, als Florian Silbereisen den selbsternannt «immer auf die Kacke» hauenden «Revoluzzer» Bohlen ersetzte. Heute präsentiert RTL seinen zurückgekehrten Lieblingsjuroren ganz sanft, und für diese Entwicklung brauchte es zwei Dekaden Showgeschichte und den bemerkenswerten Rauswurf Bohlens aus der Jury.
Um einmal alle auf den aktuellen Stand zu bringen, auf dem nicht mehr viele sein können – in der vergangenen Staffel sahen durchschnittlich nur 1,85 Millionen Zuschauer zu, in der ersten waren es titanharte 9,5 Millionen: Bohlens Vertrag mit RTL wurde 2021 überraschend nicht verlängert. Silbereisen übernahm für eine «warmherzige» Staffel, und nun ist Bohlen wieder zurück. Warum das alles geschah, wird in der Sendung nicht thematisiert, aber es hatte damit zu tun, dass RTL familienfreundlich werden wollte und Bohlen das nicht war. Alles vergessen, ausser Bohlen sind nun in der Jury: Pietro Lombardi (DSDS-Gewinner aus dem Jahr 2011), Katja Krasavice (Rapperin und Influencerin), und die Sängerin Leony.
Versinger werden nicht mehr zelebriert
Es war natürlich ein Fehler, die Sendung ohne Bohlen zu machen. Sie braucht Bohlen, seine Knallhart-Sprüche, sein aus Camp-David-Pullis bestehendes Bohlenkostüm und die Reminiszenz an die Cheri-Cheri-Lady-Zeiten in diesem Land. Oder wie Pietro Lombardi sagt: «Ich habe ein Vater-Sohn-Verhältnis mit Dieter Bohlen.»
Die gute Nachricht für diese finale Staffel ist: Es gibt tatsächlich, trotz Tiktok und allem, immer noch 23-Jährige, die das Publikum «wegbouncen wollen». Die Sendung beginnt nicht wie in früheren Zeiten mit einer Reihe peinlicher Versinger, geplatzten Hosen und hämischen Bohlen-Kommentare. Sie zeigt erstmal Kandidaten, die im richtigen DSDS-Mass was können. Und klar, kommen auch noch ein paar Schiefsänger, aber man hat nicht das Gefühl, das hier noch jemand fertig gemacht würde, der nicht genau dafür gekommen ist.
Sehr viel fieser als «Du hast alles, was wir hier nicht brauchen» zu einem schwach krächzenden Bademeister wird Bohlen nicht. In dieser ersten Folge von DSDS deutet sich also eine Bohlen-light Version an, eine Auswahl recht talentierter Leute und dazu die wohlausgewählten Ausfälle, als Prise Salz in der so harmlosen wie wenig einfallsreichen Showsuppe. DSDS ist in seiner eigenen Retroversion angekommen.
Die Show stammt aus einer Zeit, in der Privatfernsehen, Sendungen wie «Big Brother» und «Popstars», die Zuschauer in ihren Bann zogen. Die Kraft kann DSDS schon wegen der übermächtigen medialen Konkurrenz nicht mehr entwickeln, und weil die Jugend nicht mehr im Boot ist, aber auch: weil man das alles nun 20 Jahre lang in allen Ausformungen gesehen hat. Dass einem DSDS-Sieger noch Ruhm zukommen könnte wie damals dem Schweizer Luca Hänni oder dem 19-jährigen Alexander Klaws und seiner, selbstverständlich von Bohlen himself klebrig gedichteten Ballade «Take Me Tonight», wird keiner mehr hoffen. Klaws ist heute Musicaldarsteller, und brachte es im vergangenen Jahr sogar zum Jesus. In der freakigen RTL-Oster-Liveshow Die Passion war das, aber das ist ein ganz eigenes, schillernd-verstörendes Kapitel Fernsehgeschichte.
Bei dieser letzten Staffel DSDS stellt sich nun einfach das Gefühl ein: Wie schön, dass das alles bald vorbei ist.
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Letzte Staffel «DSDS» gestartet – Gut, ist das bald vorbei
Dieter Bohlen ist bei «Deutschland sucht den Superstar» zurück, eine in ihrer letzten Staffel merkwürdig freundlichen Show. Über das notwendige Ende eines Stücks Fernsehgeschichte.