«Grosse Parkplätze wären positiv»
Jean-Luc Johaneck (63) kritisiert, dass Basel elsässische Grenzgänger absichtlich staut.

BaZ: Herr Johaneck, Sie wollen eigentlich kein Interview geben, weil Sie sich nicht in die Politik einmischen möchten. Haben Sie zu den Auswirkungen der neuen Rotlichtbarrieren am Lothringer- und Voltaplatz für die Grenzgänger aus dem Elsass nicht doch etwas zu sagen?
Jean-Luc Johaneck: Sehen Sie, unsere Vereinigung Comité de Défense des Travailleurs Frontaliers du Haut-Rhin hat rund 20 000 Mitglieder. Sie sind jedoch der Erste, der uns bei diesem Thema nach unserer Meinung fragt. Weder die Basler noch die französischen Politiker haben sich um unsere Einschätzung bemüht, was wir bedauern. Natürlich habe ich mir meine Gedanken zu den Verkehrsmassnahmen gemacht.
Und?
Zunächst mal möchte ich festhalten, dass die Kommunikation aus unserer Sicht ungenügend ist. Am Mittwoch haben die Basler Behörden mitgeteilt, in einer einfachen Presseinformation, dass sie beim Voltaplatz ein Pilotprojekt lancieren. Die elsässischen Grenzgänger haben gar keine Chance, von dieser Massnahme etwas mitzubekommen und ihr Pendelverhalten allenfalls anzupassen. Es wäre besser gewesen, zuerst die Kommunikation sicherzustellen und abzuwarten, bis die Tramlinie 3 eröffnet und das Parkhaus beim Bahnhof von Saint-Louis gebaut ist. Das wird voraussichtlich im kommenden März sein. Jetzt fahren die Elsässer ahnungslos in den Stau und wissen gar nicht, was der Hintergrund ist. Vermutlich wird es auch keine Informationsschilder in Basel geben. Übrigens war der französische Präsident Emmanuel Macron vor zwei Monaten in Luxemburg. Dort hat er gemerkt, dass es ebenfalls sehr viele Grenzgänger gibt. Seine Reaktion war, dass die Mobilität dieser Menschen vereinfacht werden muss und nicht behindert werden sollte.
Was sagen Sie zur Massnahme selber – wird diese die Grenzgänger zum Umsteigen auf den ÖV bewegen?
Kaum. Sie wird nur dazu führen, dass die Pendler, die aufs Auto angewiesen sind, sich einen anderen Weg suchen müssen und werden. Wenn die Behörden schreiben, sie wollen ein Quartier beruhigen, so bin ich überzeugt, dass durch den Ausweichverkehr andere Quartiere mehr mit Verkehr und Lärm belastet werden. Die ersten Pendler aus Frankreich, die unter diesem neuen Verkehrsdosierungssystem und dem Rückstau leiden werden, sind die Mitarbeiter von Bell. Für sie wird es komplizierter, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen.
Können die neue Tramlinie 3 und die rund 700 Parkplätze beim Bahnhof von Saint-Louis eine Entlastung bringen?
Die Parkplätze sind ein erster Schritt, durchaus. Doch es wird die Verkehrssituation im Zufahrtsgebiet Richtung Autobahnausfahrt und Friedhof verschlimmern. Die Linienführung des Trams 3 ist für viele Grenzgänger leider nicht besonders geeignet. Es wäre das Einfachste und deutlich billiger gewesen, die Tramlinie 11 beim Lysbüchel weiter nach Saint-Louis zu ziehen. Das wollte aber Saint-Louis nicht, deshalb haben die politischen Verantwortlichen auf der französischen Seite zugestimmt, die Linie am anderen Ende der Gemeinde, bei Burgfelden, durchzuziehen. Burgfelden liegt aber für all jene Grenzgänger, die nach Basel müssen, völlig ungünstig. Die meisten kommen über die Autobahn A35, wo es jeden Morgen einen langen Lastwagenstau gibt. Mir fällt schwer zu glauben, dass der Grenzgänger, der zu Novartis oder Roche will, den Umweg über Burgfelden und den Barfüsserplatz mit dem Tram in Kauf nimmt. Das sind geschätzt zusätzliche 30 Minuten pro Arbeitsweg.
Und die anderen Grenzgänger?
Wir haben ungefähr 30'000 Grenzgänger aus dem Elsass, seit Jahren schon. Ein Drittel der französischen Grenzgänger kommt aus Mulhouse und Umgebung, ein Drittel aus dem Gebiet von Altkirch und dem Sundgau, ein weiteres Drittel aus anderen Gebieten der Departemente Haut-Rhin und Bas-Rhin. Viele arbeiten im Grossraum Basel und nicht in der Stadt selber, müssen also über die Autobahn oder andere Strecken an ihren Arbeitsplatz, sei es in Rheinfelden, Augst, in Allschwil oder Dornach. Wenn sich nun durch Rotlichtmassnahmen der Verkehr zurück bis auf die Autobahn staut, sind plötzlich ganz viele Leute betroffen, die gar nicht in die Stadt wollen.
Dann könnten also jene, die in die Stadt müssen, durchaus mit dem öffentlichen Verkehr kommen?
Einige. Wer in Niffer wohnt und in die Stadt muss, der nimmt dieses Tram niemals. Dieses befindet sich für ihn auf der falschen Seite und dorthin zu gelangen, ist zu umständlich. Viele können aus rein organisatorischen Gründen nicht aufs Auto verzichten, zum Beispiel wenn sie vor Arbeitsbeginn beim Firmensitz zuerst Materialien holen müssen. So etwas lässt sich nicht mit dem Tram bewerkstelligen. Hinzu kommen jene Leute, die im Gastgewerbe, in der Hotellerie oder in der Pflege arbeiten: Diese Pendler haben oft unregelmässige Arbeitszeiten mit Unterbrüchen von mehreren Stunden. Leicht geht vergessen, dass diese Leute 40 bis 45 Stunden in der Woche arbeiten. Kommt nun noch eine Ausdehnung des Arbeitswegs von 30 oder mehr Minuten pro Weg dazu – also eine Stunde am Tag –, so wird das unzumutbar, gerade wenn jemand die Kinderbetreuung organisieren muss. Irgendwann nimmt er einfach das Auto. Und vergessen Sie nicht: Diese Leute müssen pünktlich am Arbeitsplatz sein.
Ist es nicht verständlich, dass Basel wegen der neuen Tramlinie 3 in Frankreich den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel forcieren will? Immerhin hat Basel fast alles bezahlt.
Sind Sie sicher, dass die Basler alles bezahlt haben? Etwas wissen wenige: Die Grenzgänger bezahlen 4,5 Prozent des Bruttolohns als Steuer, die an den Schweizer Fiskus zurückfliessen. Interessanterweise wurde festgestellt, dass diese Pauschalabgaben deutlich mehr zugenommen haben als die Zahl der Grenzgänger aus Frankreich.
Welche Massnahmen würden Ihrer Ansicht nach etwas bringen, um den Verkehrsfluss nach, in und rund um Basel zu verbessern?
Das Anbinden der Autobahn A35 ans Schweizer Netz mit dem Bau der entsprechenden Infrastruktur wie der Dreirosenbrücke vor Jahren hat bereits sehr viel gebracht. Strassen können also durchaus etwas bewirken. Frankreich unternimmt Anstrengungen, die eigene Infrastruktur auch für Pendler zu verbessern. So wird viel in die eigenen Transportkapazitäten investiert. Zum Beispiel sind neue Pendlerzüge bestellt, die noch nicht geliefert wurden. Gerade Saint-Louis hat einiges gemacht, auch um den Pendlern das Abstellen des Autos zu erschweren, zum Beispiel die blaue Zone eingeführt. Und nun kommt ja das Parkhaus mit rund 700 Plätzen. Es zeigt sich, dass grosse Parkplätze nahe am öffentlichen Verkehr eine sehr positive Wirkung haben. Die Gemeinden Sierentz und Bartenheim haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass sie Parkmöglichkeiten nahe am öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestellt haben. Grenzgänger nehmen Verbesserungen gerne an, wenn sie ihnen nützlich sind, die Arbeit schneller zu erreichen ist oder sie von einem Spezial-Abo profitieren können. Es ist nicht so, dass Frontaliers einfach faul sind und mit dem Auto kommen wollen.
Braucht es mehr Parkhäuser am Stadtrand von Basel für die Elsässer?
Es gibt meines Erachtens in der Strategie, welche die Interregio-Politiker im Dreiland verfolgen, einen Widerspruch: Beim Flughafen können, weil dieser wächst und wirtschaftlich bedeutend ist und die Parkplätze bezahlt werden, sprich: rentabel sind, ohne Mühe grosse Parkplatzflächen angelegt werden. An anderen Orten geht das nicht. Es liegt aber nicht nur an den französischen Grenzgemeinden, hier neue Ideen zu entwickeln. Auch in Basel könnte ein solches Parksilo für Elsässer entstehen. Für mich haben diese Interregio-Treffen unserer Politiker auf beiden Seiten der Grenze bislang wenige echte Resultate gebracht.
Sie sagen, mit den neuen Verkehrsmassnahmen beim Voltaplatz werde auf jene gezielt, die am wenigsten für ihre Situation können. Warum?
Wie gesagt wollen die Grenzgänger einfach möglichst schnell zur Arbeit. Basel hat aber eine seltsame Haltung: Auf der einen Seite will es den Verkehr deutlich reduzieren, auf der anderen Seite reden alle von der Zentrumsfunktion mit einem pulsierenden Leben. Die Basler Behörden wollen die Grenzgänger behindern, nehmen aber gerne die 4,5 Prozent Steuern von ihnen. Es scheint fast so, als wolle die aktuelle Basler Politik nur die Vorteile für sich und nicht anerkennen, dass Grenzgänger ihren Teil zur Wirtschaftskraft Basels beitragen. Zudem passen sie sich an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts an, viele arbeiten «just in time» und kommen und gehen, wie sie gebraucht werden. Die Basler Behörden haben bisher nie verlauten lassen – auch die Arbeitgeberverbände nicht –, dass sie froh sind über die Grenzgänger aus Deutschland und dem Elsass.
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