Grass würde nun deutlicher formulieren
Die Wogen nach der Veröffentlichung von Günter Grass' Israel-Gedicht gehen weiter hoch. Der Iran hingegen fühlt sich verstanden. Der Verfasser übt derweil leise Selbstkritik.

Nach heftiger Kritik hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass Formulierungen in seinem Israel-Gedicht relativiert. «Ja, ich würde den pauschalen Begriff ‹Israel› vermeiden», sagte er der «Süddeutschen Zeitung» von heute.
Zudem würde er deutlicher machen, dass er sich in erster Linie gegen die israelische Regierung von Benjamin Netanyahu wende, sagte der 84-Jährige. «Die kritisiere ich: eine Politik, die gegen jede UNO-Resolution den Siedlungsbau fortsetzt. Ich kritisiere eine Politik, die Israel mehr und mehr Feinde schafft und das Land mehr und mehr isoliert.»
Grass hatte in seinem am Mittwoch veröffentlichten Gedicht «Was gesagt werden muss» Israel vorgeworfen, mit seiner Iran-Politik den Weltfrieden zu gefährden.
Hochhut reagiert beschämt
Auch unter Schriftstellerkollegen sorgt das Gedicht für Kritik: Rolf Hochhuth, der das Drama «Der Stellvertreter» über den Vatikan in der NS-Zeit verfasst hat, griff Grass direkt an: «Du bist geblieben, was Du freiwillig geworden bist: der SS-Mann, der das 60 Jahre verschwiegen hat, aber den Bundeskanzler Kohl anpöbelte, weil der Hand in Hand mit einem amerikanischen Präsidenten einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch 40 SS-Gefallene liegen», schrieb er im «Münchner Merkur» und in «Die Welt».
Er schäme sich «als Deutscher Deiner anmassenden Albernheit, den Israelis verbieten zu wollen, ein U-Boot deutscher Produktion zu kaufen, das möglicherweise allein ihrem kleinen Staat die letzte Sicherheit geben kann, von einer engst benachbarten Atommacht buchstäblich über Nacht nicht ausgerottet zu werden!» Der Iran habe schliesslich, den Nazis gleich, dem jüdischen Volk mit Ausrottung gedroht.
Stammtisch-Vorurteile und «Hassgesang»
Der US-Völkermordforscher Daniel Jonah Goldhagen nannte Grass in der «Welt» einen «Verfälscher seiner eigenen Nazi-Vergangenheit». Grass kaue «nicht anders als jene am Stammtisch die kulturellen Klischees und Vorurteile seiner Zeit» durch, schrieb Goldhagen.
Der Schweizer Historiker Raphael Gross bezeichnete das Gedicht als «Hassgesang». Dennoch sei es nicht leicht, Grass als Antisemiten zu bezeichnen, schrieb Gross in der «Berliner Zeitung», da es heute kaum noch Menschen gebe, die «ihren Judenhass offen als Antisemitismus bezeichnen würden».
Der Leiter des Leo-Baeck-Instituts in London sowie des Jüdischen Museums Frankfurt am Main verwies darauf, dass aus der NS-Zeit stammende moralische Urteilsformen weiter wirkten. «Diese schreckliche Mentalität, diese direkt aus dem Nationalsozialismus in Deutschland erwachsene ‹Moral der Volksgemeinschaft› ist es, deren Echo wir leider immer und gar nicht so selten hören, wenn wir der Generation von Grass nur genau zuhören», schrieb Gross.
Beifall von der Friedensbewegung und vom Iran
Vertreter der deutschen Friedensbewegung nahmen Grass dagegen in Schutz. Dieser trage dazu bei, das Bemühen um eine friedliche Lösung «wieder auf die Tagesordnung zu setzen», schrieb der Mitbegründer der Ostermärsche, Andreas Buro, namens der Dachorganisation Kooperation für den Frieden.
Lob kam aus dem Iran: In einem von den Medien zitierten Brief schrieb Vize-Kulturminister Dschawad Schamakdari, Grass habe «die Wahrheit gesagt». «Mit ihrer Feder allein können Schriftsteller Tragödien eher verhindern als Armeen», schrieb er.
SDA/rbi
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