Gorbatschow über den Bruch in der russischen Bevölkerung
Michail Gorbatschow weilt für Green Cross in Genf. In einem Interview äussert er sich zu politischen Problemen in seiner Heimat und warum er den Syrien-Kurs Russlands befürwortet.

«Die Situation in Russland ist momentan schwierig. Viele Probleme, die das Volk direkt betreffen, rühren daher, dass es das Gefühl hat, von der Politik nicht ernst genommen zu werden.» Michail Gorbatschow, der frühere Präsident der Sowjetunion, spricht gegenüber der Zeitung «Le Temps» Klartext (Artikel online nicht verfügbar). Im Interview, das er anlässlich einer Ausstellungseröffnung in Genf gab, äussert sich der 81-Jährige zur innen- und aussenpolitischen Situation Russlands, aber auch zu Fragen der Atomenergie und der Umwelt. Und warum er ein militärisches Eingreifen in Syrien für falsch hält.
Die wachsende Unzufriedenheit in der russischen Bevölkerung habe damit zu tun, dass sich das Volk nicht angemessen in die Politik einbringen könne. «Die aktuellen Proteste sind nicht einfach eine Provokation von ein paar wenigen», glaubt er. Es sei eine Reaktion auf die Tatsache, dass niemand ernsthaft versuche, die Probleme des Landes zu lösen. «Die Regierung glaubt, dass sich die Aufstände von selbst legen werden. Das ist ein Fehler», sagt Gorbatschow. Es sei genau diese Haltung, die die Menschen zur Verzweiflung bringe. Bereits gebe es einen Bruch in der Bevölkerung. Der Anteil der Menschen, die noch uneingeschränkt hinter der Regierung stehe, schwinde.
«Die Menschen wollen eine Demokratie, doch diese braucht Zeit»
Auch zum Pussy-Riot-Prozess äussert er sich kritisch: «Ich bin erstaunt und empört darüber, dass dieser Fall ein solches Ausmass angenommen hat», so der frühere Politiker. Er ist überzeugt, dass Russland besser bedient gewesen wäre, wenn ein Zivilgericht den Fall mit mehr Feingefühl behandelt hätte.
Aussenpolitisch steht Gorbatschow hinter der russischen Regierung: «In Syrien muss eine politische Lösung für den Konflikt gefunden werden», sagt er. Die Forderung des UN-Sicherheitsrates nach einem militärischen Eingreifen lehnt er ab. «Ich bin entschieden gegen ein gewaltsames Einschreiten», erklärt er. Er ist zwar der Meinung, dass sich Russland nicht genügend von der syrischen Situation distanziert, doch es sei auch nicht die Aufgabe eines einzelnen Landes, eine Lösung für den Konflikt zu finden. Das Beispiel Syrien zeige eindrücklich, dass Machthaber nicht jahrzehntelang im Amt bleiben sollten. «Die Menschen wollen eine Demokratie, doch es braucht Zeit, damit sich diese entwickeln kann», so der frühere Politiker.
Energiewandel in absehbarer Zeit möglich
Gorbatschow kam zur Eröffnung der Ausstellung seiner Umweltschutzorganisation Green Cross nach Genf. Die Ausstellung zeigt in Bildern, Texten und Fotos die aktuell grössten Umweltprobleme unserer Erde auf. Für Gorbatschow ist der Umweltschutz denn auch eines der dringendsten Probleme der Menschheit. «Es ist heute unsere grösste Herausforderung, die Umwelt zu schützen. Je länger wir zuwarten, desto schwieriger wird es sein, einige Probleme in den Griff zu bekommen sein», sagt der 81-Jährige. Seiner Meinung werden zu viele Versprechungen gemacht, entsprechende Handlungen hingegen würden fehlen.
Angesprochen auf erneuerbare Energien meint er, dass es sich die USA beispielsweise erlauben könnten, aus der Atomenergie auszusteigen. «Aber das trifft für viele andere Länder nicht zu. In einigen Fällen würde ein Ausstieg einen niedrigeren Lebensstandard für die Bevölkerung bedeuten. Jedes Land muss sich also genau überlegen, ob es aussteigen will», so Gorbatschow. Trotzdem glaubt er, dass ein Energiewandel in absehbarer Zeit möglich ist. Doch dafür brauche es ein grosses Engagement von Seiten der Politik, aber auch die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft müssen sich dafür einsetzen. «Damit der Energiewandel vollzogen werden kann, werden wir auf neue Technologien angewiesen sein, die es uns ermöglichen, weniger Energie zu verbrauchen», sagt Gorbatschow.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch