Googles «sexistische Kackscheisse»
Frauen interessieren sich weniger für Technologie. Na, und? Es ist ja nicht so, dass wir nicht die Wahl hätten.

Je hysterischer man etwas anprangert, desto mehr Leute lesen den Artikel. Das hat sich wohl jemand beim Webportal Watson gedacht, als er/sie/es mit obiger Schlagzeile aus dem Fäkalfundus jüngst auf Empörungsmission ging. Und nein, es fand bei Watson kein Kindertag statt, der Titel stammt vermutlich von einem Erwachsenen.
Im Zentrum des Geschehens, an dem sich gerade die globale Journaille abarbeitet, steht ein Entwickler bei Google. Der «Frauenhasser» (Blick) hat sich erdreistet, den geringen Anteil von Frauen in der Technologiebranche mit biologisch unterschiedlichen Interessen der Geschlechter zu erklären. Seine Gedanken hat er auf zehn Seiten niedergeschrieben. Google hat ihn nun entlassen.
Heutzutage muss man ja als Journalist einen Text nicht mehr lesen, um ihn zu beurteilen. Wenn also der Anonyme gar nicht anonym ist, wie Watson behauptet (sein Name steht zuoberst im Manifest), und er auch nirgends schreibt, dass «Männer bessere Programmierer sind» als Frauen, fällt das wohl unter «imaginäre Schreibefreiheit». Warum überhaupt argumentativ kontern, wenn man einfach nur «Sexist» draufschreiben kann?
Wenn das Manifest «sexistisch» sein soll, unterstütze ich hiermit einen Sexisten, dessen Meinung ich grösstenteils teile. Nur, es gibt keine einzige Zeile, die sich gegen Frauen richtet, sie herabwürdigt, abqualifiziert oder beleidigt. James Damore argumentiert sachlich und ausgewogen, betont, dass er Diversität schätzt, bestreitet auch nicht, dass Sexismus existiert. Bei Google prangert er an, dass das Unternehmen Programme anbiete, «nur für Leute mit einem bestimmten Geschlecht oder Rasse» oder Einstellungsverfahren habe, wo für bestimmte Gruppen «Hürden abgebaut» werden, um «die falsche negative Quote zu verringern». Frauen, schreibt er, hätten tendenziell mehr Interesse an Menschen als an Gegenständen, das erkläre, warum sie eher Jobs in sozialen Bereichen und eine gute Work-Life-Balance ins Auge fassen, während Männer sich eher zu Status hingezogen fühlen und deshalb höher bezahlte Jobs anstreben.
Das Manifest liefert Anlass für spannende Debatten.
Zahlreiche Studien belegen, dass Mann und Frau durchschnittlich andere Charakterzüge und Begabungen haben. Laut einer Untersuchung des britischen Psychologen Simon Baron-Cohen gibt es sogar schon kurz nach der Geburt Unterschiede im Verhalten: Weibliche Babys reagieren eher auf Gesichter, männliche auf Gegenstände. Im Laufe ihres Lebens würden sich diese frühen Züge auf komplexere Arten manifestieren.
Frauen interessieren sich weniger für Technologie. Na, und? Es ist ja nicht so, dass wir nicht die Wahl hätten. Staat und Unternehmen leisten heute viel für Chancengleichheit – mit Förderprogrammen, Spezialprojekten, grosszügigem Mutterschaftsurlaub. Man kann Damores Thesen anzweifeln – genauso wie eine Firmenpolitik, bei der Leute nicht einzig aufgrund ihrer Qualifikationen eingestellt werden, sondern zur Erfüllung einer Quote. Ihn deswegen zu entlassen, zeugt von einer zutiefst antiliberalen Haltung.
Das Manifest liefert Anlass für spannende Debatten: Warum ist immer nur die Benachteiligung der Frau ein Thema? Warum sprechen wir nie darüber, dass gefährliche Jobs im Bergbau, bei Feuerwehr oder Müllabfuhr in der Regel von Männern verrichtet werden? Inwiefern ist es Gleichberechtigung, wenn nur eine bestimmte Gruppe besonders gefördert wird? Das gehört diskutiert. «Kackscheisse» ist einzig der Reflex, mit dem gewisse Leute darauf reagieren.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch