Glaubensbrüder im Krisenmodus
Politik, Riten und Religion: Warum sich Amerikas und Israels Juden auseinanderleben.

Als US-Präsident Donald Trump der jüdischen Gemeinde Tree of Life in Pittsburgh einen Kondolenzbesuch abstattete, protestierten Tausende von meist jüdischen Demonstranten gegen seine Anwesenheit. Sie warfen ihm vor, mit seiner Rhetorik den Hass auf Minderheiten weiter angestachelt zu haben. Unterstützung erfuhr Trump indessen von israelischen Politikern. In Pittsburgh war als einziger offizieller Vertreter der israelische Botschafter präsent, um Trump zu begrüssen. Israels Regierung pries Trump als «grossen Freund der Juden».
Amerikas Juden werden Israels Reaktion auf das Massaker nicht so schnell verzeihen, kommentierte gestern die Tageszeitung Haaretz. In der Schocksituation hätte sie von Israel Trost und Unterstützung erwartet. Stattdessen mussten sie sich belehren lassen, dass es «unfair» und «ungerecht» sei, den amerikanischen Präsidenten zu kritisieren. Nie zuvor habe Israel so unverblümt gezeigt, dass es sich für seine eigenen politischen Interessen auf Kosten amerikanischer Juden einsetze, fasst Haaretz die gereizte Stimmung in jüdischen Gemeinden Amerikas zusammen.
Die diametral entgegengesetzten Reaktionen auf das Massaker in der Pittsburgher Synagoge Tree of Life illustrieren deutlich, wie tief die Kluft ist. Für Israel, das auf die politische und wirtschaftliche Unterstützung der amerikanischen Juden angewiesen ist, ist die Entfremdung eine gefährliche Entwicklung.
Denn während Jahrzehnten hat eine Mehrheit der amerikanischen Juden Israel unterstützt und demokratische Kandidaten gewählt. Jetzt müssten sie sich entscheiden, meinte wenige Tage nach dem Massaker das Wochenblatt Jewish Week. Einerseits unterstützt Trump die rechtslastige Regierung in Jerusalem, während liberale amerikanische Juden Benjamin Netanjahus Palästina-Politik ablehnen. Kein Verständnis haben liberale Juden zudem für den aus ihrer Sicht verheerenden Einfluss der Ultra-Orthodoxen in Netanjahus Koalition auf die Innenpolitik.
Liberale Rabbiner im Abseits
Amerikanische Juden, die nach Israel auswandern, erleben oft Demütigendes. Für sie hat Judentum viele Facetten, und alle sind in den USA anerkannt und legitim. Nicht aber in Israel: Dort bestimmen ausschliesslich Orthodoxe, wie das «richtige» Judentum auszusehen hat. So werden Hochzeiten und Übertritte zum Judentum vom Rabbinat in Israel nicht anerkannt, falls sie ein liberaler Rabbiner durchgeführt hat. Für liberale Juden in den USA ist das eine Diskreditierung ihres Glaubens.
Israel könne amerikanischen Juden nicht vorschreiben, sie sollten nach Israel auswandern, ohne ihr Judentum zu akzeptieren, bringt der jüdisch-amerikanischen Journalist Thomas Friedman den Konflikt unter Glaubensbrüdern auf den Punkt. Für ihn ist klar: Die liberalen Rabbiner müssen von Israel offiziell anerkannt werden. Der Zoff um das Gebetsritual an der Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem zeigt indessen, wie heikel die Entmachtung der Orthodoxen für Netanyahu wäre. Während es für liberale Juden selbstverständlich ist, dass Männer und Frauen gemeinsam (und nicht getrennt) beten und dass sich Frauen gleichberechtigt am Gottesdienst beteiligen, ist das für die Orthodoxen schlicht unvorstellbar und tabu. Das gilt vor allem auch an der Klagemauer, dem heiligsten Ort des Judentums.
Netanyahu bemühte sich um einen Kompromiss, der dort die Riten der liberalen Juden berücksichtigt hätte. Aber das orthodoxe Establishment in Israel hat bisher alle Lösungen boykottiert, die für Reform-Juden akzeptabel wären. Die Ultra-Orthodoxen drohen mit einem Austritt aus der Koalition, sollte Reform-Juden das Beten an dieser heiligen Stätte nach ihrem Ritus ermöglicht werden.
«Können amerikanische und israelische Juden als ein Volk zusammenbleiben?», fragte deshalb im Juli Natan Sharansky, der Chef der Jewish Agency, die sich um die Einwanderung von Juden nach Israel kümmert. Er ist mit der Suche nach einer Kompromissformel am Widerstand der Orthodoxen, die ihr Religions-Monopol nicht preisgeben wollen, gescheitert.
Hohe Zustimmung
Wenn das so bleibe, warnt die israelische Soziologin Eva Illouz, könne Israel bei amerikanischen Juden nur auf die Unterstützung von einem Dutzend Milliardären und den Ultra-Orthodoxen zählen.
Juden in Amerika und in Israel driften nicht nur wegen ihrer unterschiedlichen Interpretationen der Religion auseinander, sondern auch wegen Differenzen in der Politik. So unterstützen laut Umfragen drei von vier jüdischen Israeli Trumps Nahostpolitik, während in den USA lediglich ein Drittel der amerikanischen Juden damit einverstanden ist. Die Meretz-Partei, die an Israels linker Peripherie politisiert und so marginal ist, dass sie es kaum ins Parlament geschafft hat, würde bei amerikanischen Juden ein deutlich besseres Resultat erzielen. Umgekehrt würde Netanjahus Likud-Partei, die in Israel seit Jahren an der Macht ist, bei amerikanischen Juden markant schlechter abschneiden und marginalisiert werden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch