Gentests unter Generalverdacht
Der Bund will strengere Regeln für DNA-Analysen. Heute berät der Nationalrat darüber.

Es geht ganz einfach: Man bestellt online einen Test, nimmt sich mit einem Wattestäbchen eine Speichelprobe, schickt diese in einem Säcklein an ein Labor – und schon nach wenigen Tagen erfährt man neue Dinge über sich: Welchem Stoffwechseltyp man angehört und welche Chancen man darum hat, schlank zu werden. Für welche Sportarten man viel oder weniger Talent hat. Von welchen Ahnen man abstammt und mit welchen Zeitgenossen man verwandt ist. Man kann auch erfahren, dass man ein erhöhtes Risiko hat, an bestimmten Krebsformen zu erkranken.
Gentests, die per Internet bestellt werden können, sind unkompliziert und billig. Erst vor wenigen Jahren noch war die Entschlüsselung des Genoms eines einzigen Menschen fast ein Jahrhundertwerk. Dank des rasanten biotechnologischen Fortschritts sind Erbmaterial-Analysen heute Standard und Gentests zu einem Massengeschäft geworden. Viele Labors wenden sich mit ihren Testangeboten direkt an interessierte Kunden. Das Mitwirken von Ärzten und Apothekern ist nicht mehr vorgesehen.
Fortschritt überholt Gesetz
Doch mit den Online-Gentests könnte es nun bald vorbei sein. Der Bund hat gemerkt, dass wegen der wissenschaftlichen Errungenschaften neue, bisher nicht reglementierte Geschäftsfelder entstanden sind. «Fortschritt überholt Gesetz», diagnostiziert der Bundesrat. Es gibt zwar ein Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), aber dieses erfasst bisher nur Erbanlage-Analysen im medizinischen Bereich, die von Ärzten und Spitälern veranlasst und durchgeführt werden. Denn Gentests per Internet gab es 2004, als das GUMG verabschiedet wurde, noch gar nicht.
Der Bundesrat ist nun daran gegangen, «Gesetzeslücken zu finden und zu schliessen» – angeblich mit dem Ziel, «Missbräuchen» vorzubeugen und den «Persönlichkeitsschutz» bei genetischen Untersuchungen zu stärken. Das Resultat ist, dass der Bund seinen Einflussbereich deutlich ausbauen will: Der Geltungsbereich des Gesetzes werde «wesentlich erweitert», schrieb der Bundesrat letztes Jahr bei der Verabschiedung der Gesetzesrevision. Erfasst werden neu «nahezu alle genetischen Untersuchungen am menschlichen Erbgut, namentlich auch genetische Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Berichts sowie die Untersuchungen von Eigenschaften des Erbguts, die nicht an Nachkommen weitergegeben werden». Der Nationalrat berät heute über die Revision des GUMG.
Wer sein Erbgut entschlüsseln lässt, muss mit Konsequenzen rechnen. Das schriftlich übermittelte Wissen, dass man Träger einer potenziell krankmachenden Genvariante ist, kann einen ins Grübeln bringen. Die Information, dass der eigene Vater genetisch gar nicht der Vater ist, kann gar eine Lebenskrise auslösen. Und natürlich ist der günstige Gentest vielleicht nur darum so günstig, weil deren Betreiber die Gendaten an andere Interessierte weiterverkaufen, zum Beispiel an Versicherungen. So ist denkbar, dass man später beim Abschluss einer Lebensversicherung Probleme bekommt, weil das eigene Genmaterial nicht auf ein langes und gesundes Leben hindeutet.
Ärzte und Apotheker profitieren
Der Bund möchte diese Risiken den Bürgerinnen und Bürgern nicht zumuten. Er will sie punkto Gentests schützen – und sie damit zugleich entmündigen. Mit der Revision schreibt der Bund neu auch für Gentests ausserhalb des medizinischen Bereichs vor, dass nur Fachpersonen sie veranlassen dürfen, dass es Bewilligungen braucht, um sie durchzuführen, und dass genaue Aufklärungspflichten gegenüber den Kunden bestehen.
«Die Probeentnahme muss im Beisein der veranlassenden Person stattfinden», steht im Gesetzesentwurf, den das Parlament ab heute diskutiert. Künftig geht es also nicht mehr, ohne dass Ärzte und Apotheker mitmischen. Internet-Tests, bei denen Kunden und Labors direkt in Kontakt treten, sind künftig verboten – es sei denn, es gehe nur um die Bestimmung harmloser genetischer Eigenschaften, die etwa die Grösse oder die Augen- und Haarfarbe beeinflussen.
In der Praxis dürften Online-Gentests aber nur schwer zu verhindern sein. Schon heute sind es vor allem Labors ausserhalb der Schweiz, die sich direkt an die Kunden wenden. «Internetangebote ausländischer Unternehmen oder Laboratorien führen im Bereich von genetischen Tests zu einer Situation, die mit einseitigen Regulierungen auf Stufe des Landesrechts nur sehr beschränkt beeinflussbar ist», gab der Bundesrat in seiner Botschaft denn auch offen zu.
Heisst das Parlament das Verbot gut, dürfte sich bei Gentests eine ähnliche Situation ergeben wie bei Medikamenten: Diese dürfen nur von Apotheken abgegeben werden, und für viele von ihnen braucht es ein Rezept eines Arztes. Dennoch floriert der Schwarzmarkt: Per Internet kann man sich aus dem Ausland fast jedes Medikament ins Haus liefern lassen.
Geist staatlicher Fürsorge
Der Entwurf zum neuen GUMG ist ganz vom Geist der staatlichen Fürsorge erfüllt: Die Menschen sind unselbstständig, also muss man sie schützen. Sinnvoller wäre es wohl, den Bürgern zuzutrauen, dass sie mündig sind, sich selber über Chancen und Risiken von Gentests informieren können und auch selber entscheiden dürfen, wer ihre Gene untersuchen darf.
Im Bereich der elektronischen Datenübermittlung sieht man, dass viele Menschen bereit sind, auch sehr persönliche Informationen preiszugeben – und kein fürsorgerischer Gesetzgeber kann sie daran hindern. In Sachen Gentests aber versucht der Bund, dem biotechnischen Fortschritt hinterher zu legiferieren. Er wird das Rennen wohl verlieren.
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