Klamauk am Theater BaselGeisterbeschwörung mit reichlich viel Alkohol
«Molière – der eingebildete Tote» ist ein Potpourri aus witzigen Anekdoten und burschikosem Theater vom Feinsten. Das Publikum dankte mit tosendem Applaus.

Bevor Sie diesen Text lesen und wenn Sie das 16. Lebensjahr bereits erreicht haben, holen Sie sich aus dem Keller zuerst einen edlen Tropfen und passen Sie gut auf, dass Sie am Ende des Textes auch wirklich die ganze Flasche geleert haben. Denn im Stück «Molière – der eingebildete Tote», das am Freitagabend im Theater Basel Premiere feierte, flossen so viel Wein, Tränen und noch was ganz anderes, dass Sie nicht unvorbereitet in dieses kaleidoskopartige Universum eintauchen sollten. Theater und Scheisse sind seit langem ein bewährtes Paar.
Im 16. Jahrhundert kam das gehobene Publikum nicht zu Fuss, sondern im Fiaker oder Vierspänner ins Theater. Viel Pferdemist bedeutete also, dass wichtige Menschen zugegen waren oder kürzer: Viel Mist bedeutete grossen Erfolg. Menschliche Exkremente landeten meist im Hinterhof oder auf der Strasse, medizinische Behandlungen waren ein Fluch, und die Leibärzte von Louis XIV. begutachteten dessen Ausscheidungen aufs Genauste und führten darüber Buch. Er bekam fast täglich Abführmittel verschrieben und verbrachte fast mehr Zeit auf der Toilette als auf der Jagd oder beim Regieren.
Verblüffende Situationskomik
Nur einmal soll Jean-Baptiste Poquelin, der sich selbst Molière nannte, während einer Aufführung indisponiert gewesen sein, Vorerkrankungen hatte er nicht, und dennoch erlitt er just bei einer Aufführung seines «Eingebildeten Kranken» einen Schwächeanfall und schied wenig später aus dem Leben. Auf diesem tragischen Ereignis basiert die Basler Inszenierung.
Nona Fernández hat diesen Schwank nach Molière textlich, Antú Romero Nunes und Elena Manzo dramaturgisch in Szene gesetzt. Doch richtig für Stimmung sorgten die herausragende Besetzung und ein toter und ein lebender Molière, von einem extravaganten Jörg Pohl gespielt, der zwar die meiste Zeit auf dem Klo, verzeihen Sie, auf dem Toiletten- oder Leibstuhl verbringt. Doch falls einmal nicht, so treibt er, assistiert von seiner ebenfalls toten Lebensgefährtin Madeleine, zauberhaft und urkomisch von Annika Meier gespielt, als «Deus ex Machina» die Handlung voran, schreibt aus dem Stegreif die Handlung um und wandelt als aufmüpfiger Geist durch die Szenerie, immer darauf bedacht, ins laufende Geschehen einzugreifen.
Um viel geht es nicht: Es wird geflucht, gesoffen, geschissen und um Molières Erbe gestritten. Und hin und wieder tauchen Geister auf und bringen den geregelten Ablauf des Stücks gehörig durcheinander. Auffallend farbenfroh und exzentrisch sind die Kostüme, die Haarpracht der Herrschaften exorbitant, und die Bühneneinrichtung launisch. Beständig werden Treppenstufen erklommen, um über eine Rutschbahn ins Vergnügen oder ins eigene Verderben zu stürzen.
Bittersüsse Pralinen
Und das Basler Publikum? Falls es nicht zu den rund 200 zartbesaiteten Ästheten gehört, die in der Pause aus dem Theater stürmen, um sich in der Kunsthallenbeiz oder anderswo an köstlichen Speisen und Getränken zu erquicken, stürzt es mit und lässt sich den Klamauk bis zum bittersüssen Ende wie eine köstliche Praline aus dem Zauberlädeli auf der Zunge zergehen: Es gluckst, grölt und wiehert im Stillen vor sich her und klopft sich vor Glück und Seligkeit auf die eigenen Schenkel. Und auf die der Nachbarn auch.
Die grosse Bühne wird zur Zirkusmanege, das Parkett zum Tollhaus, während es vom Olymp fast ununterbrochen Applaus gibt. Leider blieb die eine oder andere Pointe auf der Strecke, weil Molière und seine Entourage auf der Bühne zu leise sprachen. Doch über etwas lachen, das man nicht versteht, ist meist noch viel lustiger.
Molière – der eingebildete Tote. Schauspiel. Theater Basel. Grosse Bühne. www.theater-basel.ch
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