Wochenduell: Proteste in Manchester und BaselGehört ein Fussballclub seinen Fans?
In Basel regt sich Widerstand gegen FCB-Besitzer Bernhard Burgener, in England gehen Fussballfans nach dem Chaos um die europäische Super League auf die Barrikaden und protestieren gegen Geld, Macht und Entfremdung. Zu Recht?

Pro: So kommerzialisiert der Fussball auch ist, die Vereine sind und bleiben geschichtsträchtige Kulturgüter des Volkes
Der Fussball ist ein Milliardengeschäft, die Ökonomisierung des Sports ist weit fortgeschritten. Es ist eine Entwicklung, die Opfer fordert und Widerstände weckt.
Die vorläufige Spitze dieses Eisbergs bildete die kürzlich beinahe gebildete European Super League, die zur endgültigen Entfremdung zwischen dem Sport und seinen Anhängern führte, falls dies nicht bereits schon geschehen ist. Geld- und machthungrige Clubbesitzer, die kaum Ahnung vom Fussball und seiner Geschichte zu haben scheinen, wollen einen konkurrenzlosen Wettbewerb erschaffen, den keiner zu wollen scheint und der die ohnehin schon grenzwertige Geldpolitik in diesem Sport noch einmal auf ein neues Level heben würde.
Dabei auf der Strecke als Hauptleidtragender bliebe: der Fan. Natürlich, auf dem Papier gehört ein Verein nicht den Anhängern. Doch jeder Verein hat seine Mitglieder, und diese sollten auch mitbestimmen dürfen. Aber die Vereine machen anscheinend dennoch, was sie wollen. Vorgegaukelt wird Demokratie, dabei sind insbesondere die sogenannten «Top-Clubs» eher autokratisch organisiert.
Die Konsequenz sind – zu Recht – Proteste seitens der Fans, wie man das beispielsweise am vergangenen Wochenende in Manchester beobachten konnte. Die Proteste rühren jedoch nicht nur vom mangelnden Mitspracherecht her, sondern vor allem von der Angst, dass der Fussball seine Identität verliert.
In diese Sparte fallen auch die Ereignisse um den FC Basel, Centricus und Bernhard Burgener, der nicht zu verstehen scheint, dass sportlicher und wirtschaftlicher Erfolg nicht ausreicht, um die Anhänger zufriedenzustimmen. So kommerzialisiert er auch geworden ist, der Fussball und seine Vereine sind ein geschichtsträchtiges Kulturgut, mit dem sich Menschen identifizieren und das es zu wahren gilt. Ohne die Fans wäre der Fussball nichts weiteres als ein Spiel.
Zu hoffen bleibt, dass die Aktionen der Fans in jüngster Vergangenheit erst den Anfang bildeten. Zahlreiche FCB-Fans gaben bereits ihre Jahreskarten zurück. Und wenn die Muttenzerkurve bei der Wiederöffnung der Stadien leer bleibt, kann auch Bernhard Burgener nicht mehr wegschauen. Genauso wenig wie die Antreiber der European Super League.
Der Fussball gehört keinem. Es geht den Fans auch gar nicht darum, den Fussball zu besitzen. Es geht ihnen vielmehr um die Rettung eines wichtigen Bestandteils ihres Lebens, und darauf sollten sie Einfluss nehmen dürfen. Ein Fan-Sprecher des FC Bayern München fasste den Fan-Anspruch einst treffend zusammen: Wenn jemand sage, «wir müssen unseren Planeten retten, dann impliziert das ja auch nicht, dass demjenigen selbst der Planet gehört». Benjamin Schmidt
Kontra: Im professionellen Fussball geht es ums Geschäft, alles andere ist eine Traumwelt
Wer die rosarote Nostalgie-Brille abnimmt, das «Früher war alles besser»-Hörgerät ausschaltet und die Anti-Kapitalismus-Krücken zur Seite stellt, erkennt: Professioneller Fussball ist im Jahr 2021 ein Business. Das mag man gut finden oder nicht – eine Tatsache bleibt es trotzdem.
Längst geht es nicht mehr nur um 22 Spieler, die nach einem Ball treten. Zum System Fussball gehören Lieferketten, Arbeitsplätze, Existenzen. Der deutsche Staat etwa profitiert jährlich von Steuereinnahmen in Milliardenhöhe, die Wertschöpfung, die der deutsche Fussball generiert, beläuft sich auf über 11 Milliarden. Entsprechend professionell müssen die Clubs, die wichtigsten Elemente dieses Systems, geführt werden. Eine falsche Entscheidung kann fatale Folgen haben – nicht nur für den Club als abstraktes Gebilde, sondern auch für real existierende Menschen und ihre Arbeit.
Die Fussballvereine bewegen sich dabei nicht im luftleeren Raum, sondern messen sich im knallharten Markt der Unterhaltungsbranche mit einer enorm dynamischen Konkurrenz. Schliesslich buhlt vom Bachelor im Privatfernsehen bis zu Lady Gaga in der Arena eine breite Palette von Grosskonzernen um die Aufmerksamkeit des Publikums.
Wer nun glaubt, dass Fans in diesem Umfeld die richtigen Entscheide für ihre Clubs treffen könnten, lebt in einer Traumwelt. Das Problem beginnt bereits beim Begriff. Die Fans – wer ist das denn? Eine heterogene Masse aus Menschen aller Schichten, Alter, sozialen Umfeldern und politischen Meinungen, die sich möglicherweise noch darauf einigen kann, ob ein Innenverteidiger zu langsam und ein Trainer kommunikativ zu schwach ist. Ansonsten aber kaum mit einer einheitlichen Stimme spricht. Um sicherzustellen, dass der Club langfristig attraktiv bleibt, braucht es Menschen, die sich in diesem Business auskennen.
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Clubführung die Meinung der Fans nicht in ihre Überlegungen miteinbeziehen soll. Schliesslich lebt ein Verein zu einem grossen Teil auch von seinem Image. Und dazu gehören sehr wohl Nostalgie, Geschichte und Fankultur. Neben den Akteuren auf dem Spielfeld und den Resultaten auf dem Totomaten sind sie es, die das Bild des Clubs prägen. Es ist ein stetes Abwägen: Wie oft kann man einen vielversprechenden Weg begehen, auf dem die Fans einem nicht folgen, ohne dass das Image so sehr leidet, dass der Club an Attraktivität verliert? Eine gute Führung weiss das. Und sie schafft es, ihren Fans das Gefühl zu geben, als hätten sie durchaus einen Einfluss. Dabei geht es nur ums Geschäft. Fabian Löw
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Bringt der Social-Media-Streik etwas im Kampf gegen Rassismus? Sollen die Olympischen Spiele von Tokio stattfinden?
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