Gegenvorschläge des Bundesrates sind chancenlos
Die Parteien zerzausen die bundesrätlichen Varianten zur Rasa-Initiative. Ob es überhaupt noch zu einer Abstimmung kommt, liegt nun am Parlament.

Die Idee dazu war unter der Bundeshauskuppel schon früh zu vernehmen: Die Rasa-Initiative («Raus aus der Sackgasse»), welche die Masseneinwanderungs-Initiative der SVP (MEI) komplett rückgängig machen will, soll indirekt dazu verwendet werden, um die inhaltliche Diskrepanz zwischen dem von Volk und Ständen angenommenen Zuwanderungsartikel 121a der Bundesverfassung und dem vom Parlament verabschiedeten Umsetzungsgesetz aufzulösen.
Einer der frühen Verfechter dieser Idee war beispielsweise der Appenzell Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea Caroni, der letzten Oktober im Hinblick auf die sich dann schon abzeichnende Nicht-Umsetzung der Initiative in der Basler Zeitung erklärte: «Die bestehende Differenz zum Verfassungstext könnte schliesslich mit einem Rasa-Gegenvorschlag bereinigt werden. Es ist in einem solchen Szenario dann am Verfassungsgeber, also an Volk und Ständen, zu entscheiden, ob er bereit ist, diese Anpassungen der Verfassung auch wirklich zu vollziehen.» Die Rasa-Initiative war die einmalige Chance, den vom Parlament beschlossenen sanften Inländervorrang mit der Verfassung in Einklang zu bringen – über eine Anpassung der Verfassung.
Eigentliches Flickwerk
Der Bundesrat kündigte Ende letzten Oktober tatsächlich auch an, der Rasa-Initiative, die er zur Ablehnung empfiehlt, einen direkten Gegenvorschlag zur Seite zu stellen. Er wollte zu diesem Zeitpunkt die inhaltliche Stossrichtungen dieses Gegenvorschlags aber noch nicht preisgeben, um die parlamentarische Debatte zur MEI-Umsetzung nicht zu beeinflussen, wie es offiziell hiess.
Ende Dezember, nachdem das Parlament die Umsetzung verabschiedet hatte, präsentierte der Bundesrat gleich zwei Varianten von Gegenvorschlägen zur Rasa-Initiative. Anfang Februar gab er sie schliesslich in die Vernehmlassung. Gestern nun lief die vierwöchige Vernehmlassungsfrist ab. Und die Resonanz der Parteien auf die zwei Vorschläge des Bundesrates waren negativ. Sie erwarten mehr als nur ein Flickwerk am bestehenden Verfassungsartikel, so der allgemeine Tenor.
Mit dem ersten Gegenvorschlag will der Bundesrat den Zuwanderungsartikel in der Verfassung dahingehend ergänzen, dass bei der Steuerung der Zuwanderung «völkerrechtliche Verträge» berücksichtigt werden müssen. Hierbei wären die geforderten Kontingente und Höchstzahlen für Ausländer, wie sie von der MEI gefordert werden, noch immer in der Verfassung eingeschrieben und stünden damit in Konflikt mit dem neuen Verfassungs-Absatz, der eine Berücksichtigung all jener «völkerrechtlicher Verträge» vorsieht, die für die «Stellung der Schweiz in Europa» von «grosser Tragweite» sind.
Die GLP, die jüngst mit einem eigenen Rasa-Gegenvorschlag vorgeprescht ist, nennt diese Variante des Bundesrates ein «reines Gebastel»: Es würden sich solche vagen «Umschreibungen» mit «gutem Grund nirgends sonst im Schweizer Recht» finden, hält die Partei in ihrer Vernehmlassungsstellungnahme fest. Es werde auch nicht abschliessend klar, welche konkreten völkerrechtlichen Verträge bei einem allfälligen Ja an der Urne berücksichtigt werden müssten, gibt die GLP weiter zu bedenken. Dass darunter aber auch das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU fallen dürfte, ist mehr als wahrscheinlich.
Der zweite Gegenvorschlag des Bundesrates beschränkt sich auf die Streichung der in Artikel 121a festgehaltenen, dreijährigen Umsetzungsfrist. Der vorherrschende Konflikt zwischen Verfassungstext und dem Umsetzungsgesetz bliebe bei einer Annahme dieser Variante an der Urne also weiterhin bestehen. Zudem ist mit der Verabschiedung der Umsetzungsvorlage durch das Parlament diese Frist sowieso hinfällig geworden.
Wirkungslose Abstimmung
Was bezweckt der Bundesrat mit den zwei mangelhaften Vorschlägen, die nun auch in der Vernehmlassung von den Parteien so dermassen zerpflückt wurden? Die erste Variante kann als bundesrätlicher Versuch gesehen werden, die parlamentarische Umsetzung der MEI in der Verfassung abzubilden, wie dies vorgängig vielerorts gefordert wurde. Hierbei fragt sich jedoch, wieso er den in dieser Variante angelegten Widerspruch zwischen den geforderten Höchstzahlen und Kontingenten einerseits und dem Einhalten völkerrechtlicher Verträge andererseits nicht auflöst. Zu diesem Schritt fehlt ihm scheinbar der Mut.
Eine Streichung der Höchstzahlen und Kontingente aus der Verfassung und ein klares Bekenntnis zu den Bilateralen und damit zur Personenfreizügigkeit, wie dies beispielsweise die GLP mit ihrer Variante fordert, wäre sicher der ehrlichere Weg gewesen, um jetziges Umsetzungsgesetz und die Verfassung in Einklang zu bringen. Der zweite Gegenvorschlag kann als Ausdruck der scheinbar noch bestehenden Hoffnung gedeutet werden, dass in Zukunft doch noch eine einvernehmliche Lösung mit der EU in der Zuwanderungsfrage gefunden werden kann, die etwas näher am MEI-Verfassungstext liegt.
Sollten die Rasa-Initiative und auch die beiden Gegenvorschläge in einer Volksabstimmung abgelehnt werden, versteht der Bundesrat dies nicht als «expliziten Auftrag» zur Kündigung der Personenfreizügigkeit, wie dieser im Begleitbericht zur Vernehmlassung festhält. Der Urnengang verkommt somit zu einer reinen Konsultativ-Abstimmung, bei der ein ablehnendes Votum keine Konsequenzen nach sich zieht. Ob es jedoch überhaupt zu einer solchen Abstimmung kommt, liegt nun am Parlament. Dieses hat die Möglichkeit, die bundesrätlichen Gegenvorschläge vorher schon zu versenken. Die Zeichen deuten stark darauf hin.
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