Frau starb nackt in Basler ZelleSo rechtfertigen sich die Gefängnisaufseher vor Gericht
Eine abgewiesene Asylsuchende hat sich 2018 im Untersuchungsgefängnis Waaghof in einer Zelle erhängt. Nun muss das Strafgericht beurteilen, ob Gefängnisangestellte für ihren Tod belangt werden können.

Im Juni 2018 erhängte sich eine 29-jährige abgewiesene Asylsuchende in einer videoüberwachten Zelle des Basler Untersuchungsgefängnisses Waaghof. Jetzt müssen sich vier Gefängnismitarbeitende vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: Fahrlässige Tötung durch unterlassene Hilfeleistung und Aussetzung.
Die Frau war am Vorabend von Bern in den Waaghof in Ausschaffungshaft verlegt worden. Nach einer unruhigen Nacht, in der die Frau mehrfach herumgeschrien habe, wurde sie am Morgen aus Sicherheitsgründen in eine videoüberwachte Zelle umquartiert. Die Verständigung mit der Sri Lankerin sei wegen Sprachbarrieren schwierig gewesen.
Die Videoaufnahmen zeigen, wie die Frau in der Zelle rastlos umherging, sich wälzte, gegen die Wand und sich selber schlug und ihre Decke zerriss. Sie griff sich gemäss Anklageschrift «in würgeartiger Manier» an den Hals, klingelte mehrfach nach der Gefängnisaufsicht und zog ihr Traineroberteil aus.
Losgeschnitten und liegen gelassen
Nach knapp vier Stunden in der Zelle nahm sie ihr Traineroberteil, befestigte es am Zellenfenster und erhängte sich damit.
Kurz darauf bemerkte ein Securitas-Mitarbeiter den Vorfall in der Überwachungszentrale und schickte einen Aufseher zur Zelle. Unterwegs begegnete dieser einem weiteren Aufseher und dem Abteilungsleiter und forderte sie auf, mitzukommen. Als sie in der Zelle eintrafen, hatte die Frau seit viereinhalb Minuten am Fenster gehangen.
Einer der Männer schnitt das Traineroberteil mit einer Schere durch – zu diesem Zeitpunkt soll die Frau noch geatmet haben, war aber bewusstlos – und man benetzte das Gesicht der Frau mit einer Hand voll Wasser, doch sie reagierte nicht darauf. Danach verliessen die Männer die Zelle, ohne sich weiter um die Verletzte zu kümmern.
Nach 15 Minuten erster Reanimationsversuch
Kurz darauf kehrte der eine Beschuldigte in die Zelle zurück und wartete auf eine herbeigerufene Aufseherin, die der Frau die Trainerhose auszog und ein «Sicherheitsgewand» bereitlegte, das die Asylsuchende später anziehen sollte. Dann verliess sie die Zelle und liess die nun nackte Verletzte unverändert liegen.
Zehn Minuten nachdem er das erste Mal die Zelle betreten hatte, informierte der Gefängnisaufseher auf Anordnung des Abteilungsleiters die Sanität. Drei Minuten später drehte die Aufseherin die Verletzte auf den Rücken, und man benetzte erneut das Gesicht der Bewusstlosen mit Wasser. Noch einmal zwei Minuten später nahm der Abteilungsleiter zum ersten Mal Wiederbelebungsversuche vor.
Zwei Tage später verstarb die Asylbewerberin im Spital an den Hirnschäden, die durch den langen Sauerstoffmangel entstanden waren.
Dass die Frau unter diesen Umständen sterben würde, war gemäss Anklageschrift vorhersehbar. Weil die Beschuldigten, die durch ihre Arbeit und Ausbildung mit Nothilfekonzepten vertraut waren, nicht einmal elementarste Erste-Hilfe-Massnahmen trafen, müssen sie sich für den Tod ihrer Schutzbefohlenen verantworten.
Erster Impuls: Die Frau spielt uns was vor
Die Verteidiger stellten bei Prozessbeginn am Dienstagmorgen zwei Anträge: Einerseits liege kein strafbares Verhalten vor, sodass der Prozess abgebrochen werden sollte. Andererseits sei der Gefängnisleitung eine Mitschuld zu geben, weshalb Verteidiger Andreas Noll Anzeige gegen die Verantwortlichen eingereicht habe. Der Prozess sei auszusetzen und die Kaderleute zusammen mit den nun vor Gericht stehenden «Bauernopfern» zu beurteilen. Das Gericht lehnte beide Anträge ab.
«Mein erster Gedanke, als ich in der Zelle eintraf und die Frau hängen sah, war: Das ist Schauspielerei», sagte der Gefängnisaufseher am Dienstag vor Gericht. Es komme häufig vor, dass Inhaftierte das tun würden. Die Frau habe geatmet und auf das Wasser im Gesicht mit Reflexen reagiert. Er habe im Stress nicht realisiert, dass er eine Bewusstlose vor sich habe, und deshalb nicht mehr unternommen.
Auch die anderen Beschuldigten, die – ausser dem Abteilungsleiter – alle vor Gericht aussagten, gingen davon aus, dass die Frau ihre Notlage vorspiele oder dass die Lage als nicht so ernst einzuschätzen sei. Zudem fühlten sie sich durch ihren Arbeitgeber ungenügend medizinisch geschult.
«Es hätten gute Chancen bestanden»
Als Auskunftsperson wurde ein Forensiker vorgeladen, der die Leiche untersucht hatte. «Es hätte eine gute Chance bestanden, sie beim Zeitpunkt des Losschneidens noch zu retten. Das wurde vertan, weil man es ihr nicht ermöglicht hat, wieder zu atmen, indem man sie beispielsweise in die stabile Seitenlage gebracht hätte.» In der abnormalen Körperhaltung, mit der die Frau in der Ecke lag, sei es für sie unmöglich gewesen, auszuatmen.
Der Amtsarzt des Waaghofs wurde als Zeuge geladen. Er führte aus, wie die Angestellten medizinisch ausgebildet wurden. Seit dem Vorfall seien neue Schulungen erarbeitet worden, die nun regelmässig durchgeführt würden.
Die zentrale Frage, ob die Gefängnisangestellten den Tod durch Rettungsmassnahmen wirklich hätten verhindern können, konnte nicht abschliessend geklärt werden.
Das Urteil wird am Freitag erwartet.
Fehler gefunden?Jetzt melden.