Gefährder national überwachen
Eine Verknüpfung der kantonalen Register von Gefährdern könnte Vorfälle wie die Schaffhauser Kettensägen-Attacke womöglich verhindern.

Künftig sollen sämtliche Kantone über ein Bedrohungsmanagement verfügen oder zumindest Zugang zu dieser Dienstleistung haben. Das fordert André Duvillard, Delegierter für den Sicherheitsverbund Schweiz. Duvillard arbeitet zusammen mit Bund, Kantonen und Gemeinden an einem nationalen Aktionsplan, der der Radikalisierung und dem Extremismus begegnen soll.
Das Bedrohungsmanagement ist darin eine von mehreren Massnahmen. Zwar haben in den letzten Jahren bereits sechs Kantone ein solches eingeführt, drei weitere arbeiten daran. Vor allem in der Westschweiz ist es jedoch noch kaum verbreitet.
Mit dem Bedrohungsmanagement versuchen Behörden, möglichst früh zu erkennen, wenn sich jemand radikalisiert und für andere gefährlich werden kann. «Es geschieht nie etwas aus heiterem Himmel», schreibt Martin Boess, Direktor der Schweizerischen Kriminalprävention, in deren Broschüre.
Deshalb arbeiten insbesondere Ämter, die mit Menschen in schwierigen Situationen zu tun haben, mit Fachleuten zusammen. Auf diese Weise wollen sie Gefahren frühzeitig erkennen, richtig einschätzen und entschärfen.
Gedroht und registriert
Kantone, die über ein Bedrohungsmanagement verfügen, legen auch ein Register mit möglichen Gefährdern an. Da dies aber nichts nützt, wenn eine aufgeführte Person ausserhalb des Kantons gewalttätig wird, sollen die kantonalen Datenbanken wie beim Waffenregister untereinander verknüpft werden. Denkbar ist, dass ein Kanton weiterhin alleine über seine Daten verfügt, anderen aber Einsicht gewährt.
Einfach wird dies nicht. Es ist äusserst heikel, Daten von Personen zu erfassen, die sich rechtlich nichts haben zuschulden kommen lassen. Jeder Kanton, der im Zuge des Bedrohungsmanagements Personen registrierte, musste dafür erst die gesetzlichen Grundlagen schaffen.
Mittlerweile existieren von Kanton zu Kanton sehr unterschiedliche Regelungen. Bevor die Register verknüpft werden könnten, müssten erst die Gesetze harmonisiert werden. André Duvillard ist zuversichtlich, dass dies gelingt: «Das Waffenregister zeigt, dass das möglich ist.»
Unbekannt in Schaffhausen
Wären die Register bereits verknüpft, hätten die Ereignisse am 24. Juli vielleicht einen anderen Lauf genommen. Am Montag letzter Woche stürmte ein Mann mit einer Kettensäge in der Hand in die Filiale des Krankenversicherers CSS in Schaffhausen und verletzte vier Personen, eine davon schwer.
Zwar verfügt Schaffhausen bereits über ein Bedrohungsmanagement. «Aber wenn bei uns plötzlich eine Person auftaucht, die nicht hier wohnt und die wir nicht kennen, ist es schwierig, einzuschreiten», sagt Martin Tanner, Pikettleiter der Schaffhauser Polizei.
Ein Nomade: Franz W. wohnte in den vergangenen vier Jahren an mindestens fünf verschiedenen Orten. (TA-Grafik: lm, Kartenmaterial: Google)
Man wird den Vorfall nun genau analysieren und falls nötig Massnahmen ergreifen. Laut Tanner war die Polizei jedoch rasch am Tatort. Zurzeit sehe es nicht danach aus, als hätte sie etwas tun können, das die Tat abgewendet hätte.
Aus dem Bauch heraus beschlossen
2013 hat Solothurn als erster Kanton das Bedrohungsmanagement eingeführt, später folgten Zürich, Baselland, Neuenburg, Glarus und Luzern, wie die «SonntagsZeitung» schreibt. Zug, Aargau und Obwalden sind dabei, ein solches aufzubauen. Für André Duvillard steht ausser Zweifel, dass heute alle Kantone auf ein Bedrohungsmanagement zurückgreifen sollten.
Seit über zehn Jahren komme es vermehrt vor, dass an sich normale Bürger ausrasteten und andere beschimpften und bedrohten. Lange mussten die zuständigen Behörden aus dem Bauch heraus entscheiden, ob diese gefährlich werden könnten. Nun stünden ihnen Fachleute und ein wissenschaftliches Instrument zur Verfügung.
Nach Ansicht Duvillards müssen nicht alle Kantone ein Bedrohungsmanagement aufbauen; kleine Kantone können mit grösseren eine Leistungsvereinbarung abschliessen.
Es wurden Gewalttaten verhindert
Der Kanton Solothurn führte das Bedrohungsmanagement ein, weil sich Vorfälle gehäuft hatten, bei denen Personen ausfällig wurden und andere bedrohten. 70 Gefährder wurden darauf registriert, Ende 2016 waren es doppelt so viele, wie Bruno Gribi von der Polizei Kanton Solothurn sagt. Dies allerdings auch, weil nicht alle Namen innerhalb der gegebenen Frist gelöscht wurden.
«Aus Sicht der Polizei hat sich das Bedrohungsmanagement bewährt. Es ist nicht mehr wegzudenken», sagt er. Nach Einschätzung der Polizei konnten tatsächlich Gewalttaten verhindert werden – auch wenn es schwierig sei, etwas nachzuweisen, das nicht eingetroffen sei, wie Gribi anmerkt.
Rückmeldung von Betroffenen hätten aber gezeigt, dass die Massnahmen zur Deeskalation beigetragen hätten. Insbesondere aus der Verwaltung hätten sie dankbare Reaktionen erhalten. Wichtig sei aber auch, die Bedroher zu unterstützen und zu zeigen, wie sie für sich selber Schutzmechanismen aufbauen könnten.
Durch Terrorbedrohung gefragter
Letztlich entscheidet jeder Kanton selber, ob er ein Bedrohungsmanagement aufbauen will. «Die Bedrohung durch den Terror könnte dieses Instrument aber zusätzlich stärken», glaubt André Duvillard. Wie er beobachtet, zeigen mittlerweile auch Westschweizer Psychologen Interesse.
Dass das Bedrohungsmanagement dort erst wenig verbreitet ist, erklärt er sich damit, dass es im deutschen Sprachgebiet erarbeitet worden war und Schwierigkeiten hatte, sich über die Sprachgrenze hinweg durchzusetzen. Bis heute jedenfalls spürt Duvillard keine Widerstände aus den Kantonen dagegen.
Der Sicherheitsverbund Schweiz will den nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus noch dieses Jahr fertigstellen. Andere Staaten verfügen bereits über einen solchen Plan.
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