Gaucks angeschlagene Beziehung zu Muslimen
Als Thilo Sarrazin vor zwei Jahren mit seiner umstrittenen These zu den Migranten für Aufruhr sorgte, stand ihm Joachim Gauck bei. Wie sich zeigt, haben Deutschlands Muslime dies noch nicht vergessen.

Es hätte der Befreiungsschlag des Christian Wulff werden sollen: Bei der Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie am Donnerstag wollte er zeigen, dass er jenseits aller Affären mit der Integration der Muslime in Deutschland sein zentrales Thema als Bundespräsident gefunden hat. Doch nun ist Wulff zurückgetreten, bei der Gedenkveranstaltung spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – und unter den Muslimen herrscht Unsicherheit, ob sich der künftige Bundespräsident Joachim Gauck ihnen so stark zuwenden wird wie sein Vorgänger im Schloss Bellevue.
Die einzige gesellschaftliche Gruppe, die Wulffs Rücktritt am vergangenen Freitag bedauerte, waren die muslimischen Verbände. Und zu den wenigen Gruppen, die nach Gaucks Kür zum Wulff-Nachfolger auch Kritik äussern, zählen ebenfalls die muslimischen Verbände. Auslöser dafür ist ein Zitat aus dem Jahr 2010, als Gauck dem ehemaligen SPD-Politiker Thilo Sarrazin für dessen heftig umstrittene Thesen zu Migranten «Mut» bescheinigte. Ausserdem sagte Gauck, Sarrazin habe über «ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik».
Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, nennt die wohlwollenden Worte Gaucks über den nicht nur bei Muslimen umstrittenen früheren Berliner Finanzsenator Sarrazin bedauerlich. «Das haben die Muslime mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Ein bisschen irritiert hat er schon mit diesen Äusserungen.» Er könne nur hoffen, dass Gauck als Bundespräsident einen «umfassenderen Blickwinkel» hat.
Verunsicherte Migranten
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, sieht die Äusserungen des einstigen DDR-Bürgerrechtlers und Stasiakten-Beauftragten mit Blick auf Gaucks künftiges Amt kritisch. «Es ist ein Bundespräsident gefordert, der nicht spaltet, sondern versöhnt. Die Aussagen von Herrn Sarrazin zum Beispiel spalteten Deutschland, weil sie keine Lösungen anboten, sondern Sündenböcke.» Und der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sieht bei «vielen Migranten Irritationen», wie er der «Frankfurter Rundschau» sagte.
Ganz offenbar bestehen in der Gruppe der Muslime starke Gefühle der Verunsicherung nach dem Wechsel im Schloss Bellevue. So sah sich Mazyek genötigt, auch auf eher abwegige Thesen zum Wulff-Rücktritt zu reagieren. «Ich teile die Verschwörungstheorie einiger in der Commnunity ausdrücklich nicht, wonach Herr Wulff wegen seiner Aussage zum Islam den Hut nehmen musste», erklärte Mazyek am vergangenen Samstag.
Wulff hatte gleich in seiner Antrittsrede gesagt, dass er sich eine «bunte Republik Deutschland» wünsche. Am Tag der deutschen Einheit 2010 sagte er ausserdem: «Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.» Bis heute wird diesen Worten unter Muslimen eine grosse Bedeutung zugemessen, wie der Islamrats-Vorsitzende Kizilkaya sagt. «Wulff hatte Hoffnung gemacht, dass die Muslime endlich dazu gehören. Wir hatten vorher nicht das Gefühl, dass Muslime in Deutschland als dazugehörig wahrgenommen werden.»
«Pfarrer predigen Liebe»
Kizilkaya hofft nun darauf, dass Gauck bei diesem Thema da weitermacht, wo sein Vorgänger aufhörte. «Es muss natürlich nicht nur dieses eine Thema sein.» Nach vielen Worten in der Integrationsdebatte könne Gauck aber nun einen Beitrag dazu leisten, dass nun stärker in die Praxis übergegangen werde. So gebe es noch immer keine Gleichstellung des Islam mit anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland – hier könne Gauck etwas bewegen.
Kein Hindernis für eine gute Zusammenarbeit ist unter den muslimischen Vertretern Gaucks ursprünglicher Beruf als evangelischer Pfarrer. Er glaube nicht, dass sich die Parteien auf Gauck wegen seines theologischen Sachverstands geeinigt haben, sagt Mazyek. «Auch Herr Wulff stand Herrn Gauck als gläubiger Christ in nichts nach.» Und Kizilkaya sieht in dem Glauben Gaucks eine Chance. «Pfarrer predigen Liebe. Wenn das praktiziert wird, kann man gut damit leben.»
Kritik von verschiedenen Seiten
Nach der Nominierung von Joachim Gauck als Bundespräsidentschaftskandidaten hat sich am Dienstag vermehrte Kritik am 72-Jährigen geregt. Geäussert wurde sie auch von jenen Parteien, die ihn am Sonntag als gemeinsamen Kandidaten präsentiert hatten.
Der integrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic, und der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele verwiesen auf Gaucks Äusserungen zu Thilo Sarrazin und dessen umstrittenen Zuwanderungs-Thesen und zur weltweiten Occupy-Protestbewegung.
Der frühere DDR-Bürgerrechtler hatte Sarrazin Mut bescheinigt und die Antikapitalismusdebatte rund um die Occupy-Bewegung als «unsäglich albern» bezeichnet.
Gegenkandidat im Gespräch
Von den Linken, für die Gauck nicht wählbar ist, und Piraten ist mit dem deutschen Kabarettisten und Kapitalismuskritiker Georg Schramm ein Gegenkandidat zu Gauck ins Gespräch gebracht worden. Der frühere Partei- und Fraktionschef der Linken, Oskar Lafontaine, sagte zu einer möglichen Nominierung Schramms, dies sei ein «interessanter Vorschlag».
AFP/kpn
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch