Für jede Nase das persönliche Parfüm
In einem Genfer Vorort mischt Jacques Masraff pflanzliche Essenzen zu individuellen Parfüms ganz nach Wunsch der Kundinnen und Kunden.
Die Welt ist voller Düfte, und die meisten davon sind schlecht, zumindest überflüssig. Wann immer ich mich aus dem Haus bewege, beginnen mich sofort Gerüche zu umfloren, ob ich will oder nicht. Ist das Treppenhaus lange nicht gelüftet worden, riechts muffig drin. Hats draussen geregnet, senkt sich frischer Himmel herab und beglückt die Sinne mit dem Duft gewaschener Luft.
Kaum aber habe ich ein Tram bestiegen, tauche ich ein in ein Konglomerat von überbordendem Markierungsgehabe: Düfte in allen Varianten, von süss bis sauer, von herber Würze bis pampiger Vanille, von nuancenreicher Natur bis grober Synthetik, von dezenter Note bis platter Anmache. Und dazwischen meine Zurückhaltung, frei von olfaktorischen C-Waffen, die den andern den Atem verschlagen. Ausser alle paar Tage Rasierwasser streiche ich mir keine weiteren Düfte ins Gesicht.
«Wie hätten Sies denn gern?»
Umso überraschender trifft mich die Aufforderung, mir ein Parfüm assemblieren zu lassen, ganz nach meinen Wünschen, kombiniert von einem Mann, der seit über 25 Jahren mit Düften hantiert.
Jacques Masraff, 54, aus Bulle stammend, lebt in Collonge-Bellerive bei Genf, ein paar Kilometer von der Landesgrenze entfernt. Er arbeitet als Aromatherapeut in einem Geriatrie-Spital, in dem er einst als Parfumeur angestellt worden ist. «Ich habe dort 20 Grundmischungen von Düften hergestellt», erzählt er. «Ich versuche, den Geruch der Krankheit zu vertreiben.» Fast drei Viertel aller Patienten seien an Krebs erkrankt, und viele von ihnen erhielten keinen Besuch mehr von ihren Familien, weil der stinkende Hauch des Todes Angst verbreite.
Wir sitzen am späten Nachmittag auf der Terrasse des Tearooms Boulangerie-Pâtisserie in Collonge-Bellerive und trinken Espresso. Den starken Kaffee haben wir nötig nach einer dreistündigen Session im kleinen Atelier Masraffs, wo er mir zuerst mehr als 40 verschiedene Essenzen, die einen stärker, die andern schwächer duftend, und davon anschliessend rund 30 in einer zweiten Runde nochmals unter die Nase gehalten und ein Parfüm kombiniert hat. Mein Parfüm.
Doch zurück zum Anfang: Kurz nach Mittag. Nachdem ich den Eingang im Haus an der Route d'Hermence mit Mühe gefunden habe, sitze ich jetzt in einem winzigen Raum gleich hinter der gläsernen Tür. An einer Wand hat Jacques Masraff seine Computer installiert, davor stehen auf einem schönen, mit Intarsien verzierten Tisch in zwei Holzkassetten mindestens 300 Fläschchen. Der Parfu-meur druckt ein Formular aus und legt es neben die vielen Fläschchen, dann setzt er sich zu mir an den Tisch.
«Welche Düfte mögen Sie?», will er wissen. «Holz, Blumen, Früchte, Gewürze? Grün, Süss. Orient?» «Orient?» «Ambra mit Vanille.» Holz, klar. Kein Blumengeschwauder, um Himmels willen!
«Gefällt Ihnen dieser Duft?»
Masraff nickt lächelnd, kreist mit der rechten Hand über der Kollektion seiner Fläschchen auf der Suche nach herben, holzigen Essenzen; ich schnäuze noch einmal heftig die Nase. Masraff zieht ein Fläschchen heraus, schraubt die Pipette heraus, drückt den Gummi zusammen, dass es sanft blubbert, zieht ein wenig Substanz ein, hält die Pipette unter seine Nase und dann unter meine. Ich schnuppere. Rieche eine gewisse, irgendwie medikamentöse Schärfe. Oder eher metallisch? Hart? Viril. Gradlinig. Das, was ein Koch als ehrliche Küche bezeichnen würde. Trotzdem irgendwie blockierend. Nicht süss, Gott sei Dank. Nicht unangenehm. Aber auch nicht das, was ich unter Duft verstehe. Etwa so, wie Enzianschnaps contra Himbeerlikör. Nun, wir stehen ja erst am Anfang. «Was ist das?»
«Iris», sagt Masraff, und dreht die Pipette wieder ins Gewinde hinein. «Im Moment die teuerste Essenz auf dem Markt. 290 Franken das Gramm.» Die Winzigkeit, die nach einer aufwändigen Prozedur bleibt, ist quasi der reine Duft, der aus zermanschten Iriswurzeln destilliert und mit einem Lösungsmittel extrahiert wird. Aus zehn Tonnen Iriswurzeln, die man drei Jahre trocknen lässt, gewinnt man ein Kilogramm Beurre d'Iris und ein halbes Essenz.
Iris gefällt mir, es erinnert mich an ein Duschgel aus Wacholderwurzel. «Haben Sie Wacholder?» Masraff hält mir ein Destillat aus Wacholderbeeren hin. Nun folgt Sandelholz. «Zwölf Stunden Destillation», sagt der Meister der Gerüche, «Sandelholz wird Ihr Parfüm tragen.» Es hält immer noch, wenn andere ätherische Öle längst verduftet sind.
Jacques Masraff, der jede einzelne Komponente auf dem Formular notiert, lässt weitere Hölzer an meiner Nase vorbeiziehen, Agarwood, Zeder, Himalajazeder, Bois de Siam, Bois de Gaïac, Sandelholz aus Haiti, Weisstanne. Und Vetiver: Der Duft, der aus den Wurzeln dieses Grases gewonnen wird, beschert eine gewisse Opulenz – und schreckt Ratten ab. Ich bin verblüfft. Als Defensivwaffe scheint sich Parfüm gut zu eignen.
Nun wechselt der Parfumeur zu den eher flüchtigen Essenzen, die das Fundament des Parfüms mit Varianten schmücken, vor allem mit Zitrusnoten. Orange aus der gepressten Schale: sehr typisch; Bergamotte: der Orange ähnlich; Mandarine: so, wie eine Mandarine eben duftet: Grapefruit: enttäuschend schwach, aber Grösse ist noch nie eine verlässliche Garantie für Substanz gewesen; Limette: stark und genau so, wie man es von einer Limette erwartet.
«Vorsicht mit Melisse!»
Es folgen weitere wohl oder zumindest nett riechende Stoffe, bekannte wie Jasmin, Lotus, Vanille (sehr eindeutig, mag ich nicht), Patschuli; noch nie gehörte wie Ylang-Ylang, Galbanum, Tuberose, Ambrette oder Mousse de chêne, Eichenmoos. Am besten freilich gefällt mir Melisse, extrahiert aus den Blättern, nicht unproblematisch, denn es kann die Haut angreifen: «Wenn Sie es auf die Haut gestrichen haben und an die Sonne gehen», sagt Masraff. Da droht keine Gefahr, erstens tupfe ich höchstens ein, zwei Fingerspitzen unter die Ohren, und zweitens pflege ich beim Schwimmen ohnehin nicht Duft zu tragen.
Die zweite Runde. Jetzt gilt es Ernst. Jacques Masraff hat eine Mettler-Präzisionswaage angeschlossen und ein kleines, dunkelblau schimmerndes Fläschchen darauf gestellt. Die Waage misst minimste Mengen, Gewichte, die man sich nicht einmal in Zahlen vorstellen kann. Darauf kommt es jetzt an, denn er beginnt, eine zu mir passende Mischung zu kombinieren, indem er nach meinen Wünschen und seinem Ermessen aus den gut 40 Noten der ersten Runde einige auswählt, mir wieder unter die Nase hält und sie nimmt, falls ich sie gut finde.
Am Ende setzt sich das Parfüm aus 23 Komponenten zusammen: Die Basis ist Sandelholz, davon gibt Masraff am meisten ins Fläschchen; es folgen in dieser Reihe: Zedernholz, Bois de Siam, Gaïac, Agarwood (2 Tropfen), Vetiver (ein paar Tropfen mehr), Petit grain (aus Zweigen und Blättern des Orangenbaums), Orange (nur ein paar Spritzer), Melisse, Limette, Cassis (Extrakt aus den Blättern, grün und frisch wie ein Frühlingswald), Wacholderbeeren, Zypresse, Iris, Mousse de chêne, Ingwer, Patschuli, Labdanum, Tuberose, Jasmin, Rose attar (Rose und Sandelholz kombiniert), Galbanum, Ambrette (eine Art pflanzliches Musk) – von all dem immer nur Tropfen oder Spritzer. Der Parfumeur hat alles säuberlich im Computer festgehalten.
Masraff schraubt den Deckel auf das nicht ganz halb gefüllte Fläschchen und schüttelt den Inhalt kräftig durch. Er öffnet den Deckel und steckt einen schmalen, dünnen Streifen aus Karton hinein, bis dieser vollgesogen ist, zieht ihn heraus und wedelt damit ein paar Mal vor seiner Nase. Dann bin ich dran.
Würzig, mit opulenter Zitrusnote. Etwa so, wie ich mirs gewünscht habe. Aber doch nicht ganz. Irgendwie zu blumig. Wir wählen Komponente 24 und 25 aus, Weihrauch und Muskatnuss. Deckel drauf, schütteln. Kaffeepause. Die Nase soll sich erholen, bevor die definitive dritte Runde ansteht.
Eine halbe Stunde später. Jacques Masraff hat erzählt, dass er nur mit natürlichen Essenzen arbeite, und ausschliesslich mit pflanzlichen. «Die Tiere tun mir leid», hat er gesagt, «Sie sollten einmal sehen, wie das mit Cibetkatzen zugeht.» Man reizt sie in Käfigen, damit sie in ihrer Wut das begehrte Sekret ausscheiden, das man dann abstreift. Nun sitzen wir ein letztes Mal am Tisch, der Parfumeur schüttelt den Flacon, ich ziehe den Duft tief ein. Noch zwei Retuschen, etwas Melisse plus ein Tropfen Limette. Perfekt. Nach weiteren zehn Minuten verlasse ich das Haus in Collonge-Bellerive, in der Mappe einen Zerstäuber und das blaue Fläschchen, in dem sich der Rest des mit Alkohol vermischten Parfüms befindet.
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